Gebietsfremde Arten verdrängen zunehmend heimische Spezies aus ihren angestammten ökologischen Nischen. Wissenschaftler sind jetzt am Rhein angeln gegangen, um einem dieser akuten Verdrängungsprozesse auf die Spur zu kommen. Beim Blick in den Magen eines der eingeschleppten Fische – der Schwarzmundgrundel – stellten sie fest: Sie kam nicht allein. Offenbar hat sie sich ihr Futter selbst mitgebracht und einen Parasiten gleich dazu. Dies könne der Grund sein, warum sich die Grundel rasend schnell in hiesigen Gewässern ausbreitet, schreiben die Forscher im Fachmagazin „PLoS ONE“.
Für Angler sind sie echte Plagegeister: Die Schwarzmundgrundel (Neogobius melanostomus) stellt in Rhein und Main derzeit die häufigste von insgesamt fünf invasiven, neozoischen Grundeln dar. Das bedeutet: Die Grundeln sind hier eigentlich nicht heimisch, es handelt sich um sogenannte Neozoen – eingeschleppte bzw. eingewanderte Tierarten. Als invasiv werden dabei diejenigen Arten bezeichnet, welche das Ökosystem aus dem Gleichgewicht bringen.
Zahlreiche eingewanderte Fischarten und Krebstiere leben mittlerweile in Rhein und Main. Neben den Grundeln sind dabei verschiedene Flohkrebsarten die häufigsten Vertreter. „Etwa ein Viertel der aquatischen invasiven Arten stammen aus der Ponto-Kaspischen Region, hauptsächlich aus dem Schwarzmeerraum und dem Kaspischen Meer, wobei die Schwarzmundgrundel und der Große Höckerflohkrebs zu den prominenten Beispielen zählen“, sagt Sven Klimpel von der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. Im Rhein angekommen, vermehren sich die Grundeln rasant. „Insbesondere die Schwarzmundgrundel ist inzwischen mit Abstand die dominanteste Fischart im Rhein und nicht nur unter Biologen, sondern auch unter Berufs- und Hobbyfischern in aller Munde“, resümiert Klimpels Kollege Sebastian Emde.
Die Grundel frisst nur, was sie kennt
In ihrer Studie wollten die Forscher daher wissen, wie Grundel und eingeschleppte Flohkrebse das heimische Ökosystem verändern. Bei ihrer Untersuchung des Rheins nahe Düsseldorf zeigte sich: An dieser Stelle waren keinerlei einheimische Flohkrebs-Arten mehr im Fluss zu finden. Die Grundeln hatten entsprechend ausschließlich Flohkrebse gefressen, die, wie sie selbst, aus der Region des Schwarzen und Kaspischen Meeres eingewandert sind, wie eine Analyse ihres Mageninhalts ergab.
Zudem waren über 90 Prozent der Schwarzmundgrundeln mit einem Parasiten befallen – dem ebenfalls nicht heimischen Plattwurm der Art Pomphorhynchus tereticollis. Die Grundel und ihre Lieblingsspeise, der Höckerflohkrebs, fungieren dabei für den Parasiten als Zwischenwirte: Den Flohkrebs benötigt er zur Entwicklung, die Grundel nutzt er als Transportwirt zur Verbreitung. Der Zielwirt dieses Parasiten sind jedoch größere Fische. Das aber bedeutet: Raubfische, die im Rhein die kleineren Grundeln fressen, infizieren sich dadurch ebenfalls mit dem Wurm. So verbreitet sich der Wurm stetig weiter.
Nicht alles ist gesund, was satt macht
Doch nicht nur für die großen heimischen Fischarten, die direkt die Grundel fressen, stellt der Wurm eine Bedrohung dar: Der mit ihr eingeschleppte Höckerflohkrebs ist bereits zur Hauptnahrungsquelle auch für Barbe, Döbel und Forelle geworden. „Das ist energetisch zunächst von Vorteil für die Fische, denn diese Krebstiere sind massenhaft vorhanden“, so Kimpel. Der Nachteil: Das Immunsystem der Einheimischen kennt sich mit den für sie neuen Parasiten, die den Höckerflohkrebs als Zwischenwirt nutzen, nicht aus. Gegenüber hiesigen Schädlingen und Krankheitserregern haben die Fische eine gewisse Widerstandsfähigkeit entwickelt, doch gegen gebietsfremde Organismen besitzen sie oft nur geringe oder gar keine natürlichen Abwehrkräfte. Möglicherweise sterben die Tiere daher durch den Parasiten früher.
Das Trio aus Wurm, Höckerkrebs und Grundel illustriert daher gut den Einfluss eingeschleppter Arten auf sensible Ökosysteme: „Wenn invasive Arten durch die Verdrängung einheimischer Arten dominieren und dabei auch noch Wirte für bestimmte neue Parasiten und Krankheitserreger sind, können sich Krankheiten leichter ausbreiten“, erklärt der Biologe Kimpel. Letztendlich kann dies zum Verschwinden heimischer Arten aus einem Lebensraum wie dem Rhein führen. Sein Fazit: „Der Schutz der heimischen Artenvielfalt dient auch der Gesundheit der Organismen im jeweiligen Ökosystem.“
(Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, 06.02.2013 – KBE)