Sie gehören zu den größten wirbellosen Tieren der Erde: die Riesenkalmare. Über diese geheimnisvollen Tiefsee-Bewohner ist aber bisher nur wenig bekannt. Jetzt hat ein internationales Forscherteam zumindest eine Frage geklärt: ihre Verwandtschaftsverhältnisse. Demnach sind alle Riesenkalmare einander genetisch verblüffend ähnlich – obwohl sie teilweise tausende von Kilometern weit voneinander entfernt leben, wie die Forscher im Fachamgazin „Proceedings of the Royal Society B“ berichten.
Seeleute erzählten sich früher Schauergeschichten von riesigen Kraken, die mit ihren Tentakeln ganze Schiffe umschlingen konnten. Heute weiß man: In den Tiefen der Ozeane gibt tatsächlich Tintenfische, die eine Länge von knapp zwanzig Metern erreichen können – die Riesenkalmare. Erst kürzlich machten diese ungewöhnlichen Tiere wieder einmal Schlagzeilen: Forschern war es gelungen, von einem Tauchboot aus ein Exemplar in seinem finsteren Lebensraum in etwa 600 Metern Tiefe zu filmen. Ein etwa sechs Meter langes Tier hatte seine zehn Tentakel um einen Köder geschlungen und blickte mit seinen riesigen Augen in die Kamera.
Begonnen hatte die Erforschung dieser geheimnisvollen Meeresbewohner bereits im Jahre 1854: Ein dänischer Naturforscher hatte den Schnabel eines gestrandeten Riesenkalmars untersucht. Er gab dem Tier, dessen Existenz zuvor als Seemannsgran galt, den wissenschaftlichen Namen Architeuthis dux. Seither haben Fischer, aber auch Forscher, in vielen unterschiedlichen Meeresregionen der Erde Hinweise auf die Existenz dieses gewaltigen Tintenfisches gefunden.
Erbgut von Proben aus aller Welt verglichen
Inger Winkelmann von der Universität von Kopenhagen und seine Kollegen sind nun den Geheimnissen der Tiefseeriesen mit den Mitteln der modernen Genetik weiter zu Leibe gerückt. Sie wollten herausfinden, wie sich die Riesenkalmare in den verschiedenen Regionen der Erde genetisch unterscheiden. Sie sammelten dazu Proben von insgesamt 43 Exemplaren aus allen Teilen der Erde. Es handelte sich um erhaltenes Gewebe von tot angeschwemmten Tieren, oder von solchen, die in den Netzen von Tiefseefischern gelandet waren.
Die Forscher gewannen aus diesen Proben sogenannte mitochondriale DNA, Erbgut, das nicht aus den Zellkernen stammt, sondern aus den Mitochondrien – den Kraftwerken der Zellen. Anhand dieses nur über die mütterliche Linie vererbten Genmaterials lassen sich Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Individuen besonders gut nachweisen.
Verblüffend ähnlich – selbst auf der anderen Seite der Erde
Die Auswertung der DNA-Vergleiche ergab: Selbst Exemplare, die maximal weit voneinander entfernt gelebt hatten, beispielsweise vor der Küste Floridas und in den Gewässer Japans, besaßen äußerst ähnliches mitochondrales Erbgut. Damit sei die Vermutung widerlegt, dass es sich bei den Riesenkalmaren der unterschiedlichen Erdteile um verschiedene Arten handele, sagen die Forscher. Offenbar gibt es also nur einen Riesenkalmar, nämlich die Art Architeuthis dux.
Doch die Ergebnisse werfen auch neue Fragen auf, wie Winkelmann und seine Kollegen erklären. Denn die enorme Ähnlichkeit des Erbgutes verschiedener Exemplare sei höchst erstaunlich. Die innerartliche Variation sei bei anderen Meerestieren normalerweise weit größer, beim näher verwandten Humboldt-Kalmar beispielsweise sogar um das 44-Fache. „Die genetische Vielfalt ist nur bei einem Meerestier noch geringer, dem Riesenhai (Cetorhinus maximus), der aber vermutlich erst vor kurzem knapp dem Aussterben entgangen ist“, so die Forscher. Ihrer Ansicht nach spricht dies dafür, dass die Riesenkalmare trotz ihres globalen Verbreitungsgebietes keine voneinander abgegrenzte Unterpopulationen ausgebildet haben.
Mini-Larven sorgen für Gen-Austausch
Warum dies so ist, darüber können die Wissenschaftler bisher nur spekulieren. Sie vermuten aber, dass die weltweiten Bestände trotz der riesigen Entfernungen in ständigem Austausch miteinander stehen. Wahrscheinlich sind es dabei nicht die erwachsenen Tiere, die sich dabei auf Wanderschaft begeben, sondern eher ihre winzigen Larven. Diese können leicht von den globalen Meeresströmungen mitgerissen werden und sich so überall auf der Erde verteilen.
Die enorme genetische Ähnlichkeit innerhalb der Art könnte den Forschern zufolge auch daran liegen, dass es bei den Riesenkalmaren zu einer kürzlichen Bevölkerungsexplosion gekommen ist. Was der Auslöser für solch einen Zuwachs gewesen sein mag, ist fraglich. Unterm Strich bleibt Architeuthis dux also weiterhin ein äußerst rätselhafter Meeresbewohner, betonen die Wissenschaftler. (Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 2013; doi: 10.1098/rspb.2013.0273)
(Royal Society B, 20.03.2013 – MVI)