Paläontologie

Riesige Raubwürmer beherrschten die Meere

538 Millionen Jahre alte Fossilien zeugen von ältesten Spitzenprädatoren

Timerobestia
Lange vor den Schalentieren waren es offenbar Riesenwürmer, die vor 538 Millionen Jahren die Nahrungskette anführten. © Bob Nicholls/@BobNichollsArt

Herrscher der Ozeane: In Grönland haben Paläontologen die 538 Millionen Jahre alten Fossilien von fleischfressenden Meereswürmern entdeckt – dem Urzeit-Äquivalent moderner Meeresräuber. Die Tiere waren mit einer Körpergröße von bis zu 30 Zentimetern für ihre Zeit riesig und standen wahrscheinlich an der Spitze der Nahrungskette, bevor sie von gepanzerten Gliederfüßern verdrängt wurden. Die „Timorebestia“ getauften Würmer könnten somit zu den ältesten Spitzenprädatoren der Welt zählen, wie die Forschenden berichten.

Vor rund 540 Millionen Jahren legte das Leben auf der Erde auf einmal den Turbo ein. Innerhalb kürzester Zeit entstanden während dieser „Kambrischen Explosion“ die Vorfahren aller heutigen großen Tiergruppen. Auch die Nahrungsketten, wie wir sie heute kennen, haben sich wahrscheinlich zu dieser Zeit entwickelt: mit fleischfressenden Tieren an der Spitze und Pflanzen am unteren Ende.

Fossiler Körperabdruck
Die Körperabdrücke der Timerobestia offenbaren zahlreiche anatomische Details. © Dr. Jakob Vinther

Schreckenstiere aus Grönland

Eines der frühesten fleischfressenden Tiere unseres Planeten haben nun Paläontologen um Tae-Yoon Park vom Koreanischen Polarforschungsinstitut womöglich in der nordgrönländischen Fossilienfundstätte Sirius Passet entdeckt. Es handelt sich dabei um 13 Exemplare von bislang unbekannten urzeitlichen Raubwürmern aus der Zeit vor 538 Millionen Jahren.

Versteinerte Körperabdrücke zeigen, dass diese Würmer längliche flache Körper mit Schwanz- und Seitenflossen besaßen. Ihr Kopf war mit zwei langen Fühlern und einem ausgeprägten Kiefer bestückt und ging nahtlos in den Rest des Körpers über. Mit bis zu 30 Zentimeter Länge gehörten die Raubwürmer wahrscheinlich zu den größten Tieren ihrer Zeit. Park und seine Kollegen haben sie daher auf den Namen „Timorebestia koprii“ getauft, was so viel wie „Schreckenstiere“ bedeutet.

An der Spitze der Nahrungskette

„Die Timorebestia waren die Giganten ihrer Zeit und standen wohl an der Spitze der Nahrungskette. Das macht sie in ihrer Bedeutung vergleichbar mit einigen der wichtigsten Fleischfresser in modernen Ozeanen, wie Haien und Robben“, erklärt Seniorautor Jakob Vinther von der University of Bristol. Ihre Position in der Nahrungskette verdeutlicht auch der versteinerte Mageninhalt einiger Exemplare. Im Verdauungstrakt der Tiere fanden Park und seine Kollegen mehrere hartschalige Gliederfüßer der Gattung Isoxys. Offenbar fraßen die Timorebestia diese in großen Mengen.

Da die Raubwürmer dies bereits vor 538 Millionen Jahren taten, gelten sie nun als die bislang ältesten bekannten Spitzenprädatoren der Erde. Vor ihrer Entdeckung hatten diesen Rang primitive Gliederfüße wie Anomalocaris inne, doch vor der Ära solcher räuberischen Schalentiere waren offenbar zunächst die Weichtiere an der Macht. Die Paläontologen schätzen, dass die „Schreckensherrschaft“ der Würmer zehn bis 15 Millionen Jahre angedauert haben könnte, bevor sie schließlich von anderen, erfolgreicheren Raubtiergruppen beendet wurde.

Winzige Erben

Das bedeutet allerdings nichts, dass die Timorebestia gänzlich von der Erdoberfläche verschwunden sind. Park und seine Kollegen nehmen an, dass sie Nachfahren in Form moderner Pfeilwürmer hinterlassen haben. Zumindest teilen beide dasselbe einzigartige anatomische Merkmal: ein ausgeprägtes Nervensystem am Bauch, das von sonst keinem anderen Tier bekannt ist.

Heutige Pfeilwürmer sind allerdings erheblich kleiner als ihre riesigen Urahnen. Mit torpedoförmigen Körpern und borstigen Greifstacheln jagen sie unter anderem Ruderfußkrebse und Plankton. Die Zeiten, in denen die Meeresbewohner vor ihnen erzitterten, liegen lange hinter ihnen. (Science Advances, 2024; doi: 10.1126/sciadv.adi6678

Quelle: American Association for the Advancement of Science (AAAS), University of Bristol

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