Biochemie

RNA-Welt: Henne-Ei-Problem gelöst?

Wie die RNA in der Ursuppe die ersten Peptide gebildet haben könnte

RNA
Die ersten Vorformen des Lebens könnten auf dem Erbmolekül RNA statt der DNA beruht haben. Denn die RNA kann mehr als nur Erbinformation speichern. © Christoph Burgstedt/ Getty images

Uranfang des Lebens: Forschende könnten ein entscheidendes Missing-Link der RNA-Welt gefunden haben – der Zeit, in der es auf der Erde noch keine DNA oder Enzyme gab. Denn ihr Experiment belegt erstmals, dass auch pure RNA die Verknüpfung von Aminosäuren zu Peptidketten katalysieren kann. Dies schließt eine wichtige Lücke zur Bildung der ersten Proteine in der „Ursuppe“- und könnte damit das Henne-Ei-Problem der Lebensentstehung lösen, wie das Team in „Nature“ berichtet.

Heute basiert alles irdische Leben auf einer Arbeitsteilung: Die Erbmoleküle RNA und DNA speichern die genetische Information, die Ribosomen konstruieren daraus neue Proteine und die Proteine halten den Stoffwechsel und damit den gesamten Organismus am Laufen. Doch wie war dies am Uranfang des Lebens? Nach gängiger Theorie gab es damals noch keine DNA, Ribosomen oder DNA-kopierende Enzyme. Doch ohne Proteine kann sich die DNA nicht vervielfältigen und ohne Ribosomen gibt es keine Proteine – es ist ein echtes Henne-Ei-Problem.

Ribosom
Heute produzieren die Ribosomen in unseren Zellen die Proteine. Aber wie war das am Uranfang des Lebens? © ttsz/ Getty images

Fehlendes Puzzleteil der RNA-Welt

Einen möglichen Ausweg bietet die RNA: Anders als die DNA benötigt diese Form des Erbmoleküls keine Proteine, um sich zu vervielfältigen, sondern fungiert als ihr eigenes Enzym. Nach gängiger Theorie stand am Anfang allen Lebens daher eine RNA-basierte Welt – dies löst zumindest einen Teil des Henne-Ei-Problems. Doch offen blieb bisher, wie ohne Ribosomen oder sonstige Proteinfabriken die ersten Eiweiße gebildet werden konnten.

Eine Antwort auf diese Frage könnten nun Felix Müller von der Ludwig-Maximilians-Universität München und seine Kollegen gefunden haben. „In der RNA-Welt muss es irgendwann einen Punkt gegeben haben, an der die RNA die Fähigkeit erlangte, zumindest die Synthese kleinerer Peptide zu katalysieren“, erklären die Forschenden. Sie haben daher nach chemischen Prozessen gesucht, durch die RNA-Moleküle das Aneinanderkoppeln von Aminosäuren zu Peptidketten geschafft haben könnten – ganz ohne Ribosomen und Co.

„Fossile“ RNA-Basen als entscheidende Akteure

Tatsächlich stieß das Team auf einen möglichen Weg: Chemische Analysen zeigen, dass es neben den vier für die Proteinkodierung wichtigen RNA-Basen – den Genbuchstaben A, T, G und C – noch weitere, sogenannte nicht-kanonische RNA-Basen gibt. „Diese nicht-kanonischen RNA-Nukleoside können bis zum letzten gemeinsamen Vorfahren aller Erbmoleküle zurückverfolgt werden und gelten daher als molekulare lebende Fossilien der RNA-Welt“, erklären die Wissenschaftler.

Das Interessante daran: Einige dieser „fossilen“ RNA-Basen tragen Anhänge, an die sich Aminosäuren anlagern können. Was aber passiert, wenn nun zwei RNA-Stücke mit solchen Aminosäure-Anhängen in Kontakt kommen? „Ihre chemischen Strukturen deuten darauf hin, dass dann eine RNA-basierte Peptid-Synthese beginnen könnte“, schreiben Müller und seine Kollegen. Die Präsenz der RNA könnte dann Reaktionen zwischen den Aminosäuren begünstigen, durch die eine Peptidbindung und damit die Verknüpfung der beiden Aminosäuren zu einem Peptid entsteht.

RNA kann Peptide bilden

Ob das auch in der Praxis funktioniert, haben Müller und sein Team nun ausprobiert. Dafür erzeugten sie kurze RNA-Ketten, die an ihren Enden zwei verschiedene nicht-kanonische RNA-Basen mit jeweils einer angelagerten Aminosäure trugen – quasi einen Geber und einen Empfänger. Gaben sie diese nun zusammen, fand die erhoffte Reaktion statt: Die RNA-Fragmente lagerten sich so zusammen, dass sich jeweils ein Geber- und ein Empfänger-Nukleosid verbanden.

Unter günstigen Reaktionsbedingungen, darunter Wärme, folgte dann der entscheidende Schritt: Die Geber-RNA lockerte die Bindung zu „ihrer“ Aminosäure und überließ sie der Empfänger-RNA. Diese trug nun an ihrem Ende zwei miteinander verknüpfte Aminosäuren – den Anfang einer Peptidkette. Wie die Forschenden beobachteten, konnte sich dieser Prozess mehrfach wiederholen, wodurch Peptide mit bis zu 15 Aminosäuren gebildet wurden.

Die Peptid-Anhängsel führten gleichzeitig dazu, dass die normalerweise fragilen und leicht zerfallenden RNA-Moleküle stabiler wurden. Im Prinzip förderten sich damit beide Molekülarten gegenseitig: Die RNA begünstigte die Bildung von Peptiden, diese wiederum stabilisierten die RNA.

Henne-Ei-Problem gelöst?

Die nicht-kanonischen RNA-Basen und ihre Affinität zu Aminosäuren könnten demnach das entscheidende Bindeglied gewesen sein, das die RNA von einem reinen Träger der Erbinformation zu einem Katalysator der Peptidsynthese machte. „Dies leitete den Übergang von einer reinen RNA-Welt zu einer RNA-Peptid-Welt ein“, sagen die Forschenden. „In dieser RNA-Peptid-Welt entwickelten sich dann beide Molekülarten weiter und verbesserten ihre Translations- und Replikationsfähigkeiten.“

Letztlich entstand dann irgendwann die komplexe RNA-Maschinerie, durch die bis heute die Proteine in unseren Zellen erzeugt werden – das Ribosom. Die RNA wurde nun nicht mehr für die Peptidsynthese gebraucht und reduzierte ihre Funktion auf das Speichern und den Transport von Erbinformation.

„Die RNA-Peptid-Welt löst somit das Henne-und-Ei-Problem“, sagt Seniorautor Thomas Carell von der LMU München. „Dies schafft ein Fundament, auf dem die Entstehung des Lebens langsam erklärbar wird.“ (Nature, 2022; doi: 10.1038/s41586-022-04676-3)

Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München

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