Biologie

Rollentausch: Weibchen mit Penis entdeckt

Bei Neotrogla-Höhleninsekten trägt die Frau eine Art Penis, der Mann hat eine Vagina

Der "Penis" des Neotrogla-Weibchens unter dem Mikroskop © Current Biology/ Yoshizawa et al.

Skurril: Ein Höhleninsekt treibt den Rollentausch der Geschlechter auf die Spitze. Bei seiner Paarung sitzt das Weibchen nicht nur oben, es trägt auch eine Art Penis. Das Männchen hat dagegen eine Vagina. Diese von Biologen in Brasilien entdeckte Skurrilität ist das erste bekannte Beispiel für einen so kompletten Tausch der Geschlechtsorgane, wie die Forscher im Fachjournal „Current Biology“ berichten. Warum diese Insekten diese ungewöhnliche Verkehrung entwickelten, ist unklar.

Dass es im Tierreich seltsame Sexpraktiken und auch merkwürdige Geschlechtsorgane gibt, ist schon länger bekannt. Vor allem die Männchen haben ein ganzes Arsenal unterschiedlichster Penisvarianten entwickelt. Auch Formen des Rollentauschs gibt es ab und zu. Kazunori Yoshizawa von der Hokkaido Universität in Japan haben nun jedoch das bisher ungewöhnlichste Beispiel für vertauschte Rollen entdeckt: bei Höhleninsekten der Gattung Neotrogla.

Ungewöhnliche Anhängsel

Diese nur zwei bis vier Millimeter kleinen Insekten wurden erst kürzlich in Höhlen in Brasilien entdeckt. Bisher sind vier Arten dieser Gattung bekannt. Schon den Erstentdeckern der Neotrogla war aufgefallen, dass die Weibchen ungewöhnliche Anhängsel zu tragen schienen. Doch die genaue Funktion dieser sogenannten Gynosomen war unklar. Yoshizawa und seine Kollegen haben dies nun in Laborversuchen untersucht – dabei schauten sie den Insekten beim Paarungsakt ganz genau zu.

Neotrogla-Paar bei der Kopulation © Current Biology/ Yoshizawa et al.

Wie sich zeigte, tragen bei Neotrogla die Weibchen nicht nur penisartige Anhängsel, sie setzen sie auch ein, wie sonst ihre männlichen Gegenparts: Bei der Paarung sitzen sie huckepack auf den Männchen und führen ihnen dabei ihre Gynosomen in deren vaginaartige Körperöffnung ein. Einmal drin, schwillt eine Membran des Gynosoms an und verankert das penisartige Geschlechtsorgan in der Körperöffnung des Männchens. „Zwar ist ein Rollentausch der Geschlechter schon bei einigen Tieren bekannt, Neotrogla ist aber das einzige Beispiel, bei dem auch das Organ dafür vertauscht ist“, sagt Yoshizawa.

Einzigartige Verankerung

Bei Versuchen, die beiden Tiere zu trennen, rissen die Forscher eher der Unterleib der Männchen ab, als dass das Gynosom aus seiner Verankerung rutschte. Kein Wunder, dass die Paarung bei den Höhleninsekten bis zu 70 Stunden dauert – sie können sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht trennen. „Dieser Verankerungsmechanismus der Neotrogla-Weibchen ist einzigartig“, erklären die Forscher.

Interessanterweise bleibt aber beim Austausch der Keimzellen alles beim Alten: Das Weibchen nimmt die Spermien des Männchen mit seinem Gynosom auf – es saugt sie mit ihrem penisartigen Anhängsel auf. Aber nicht nur das: Die Forscher haben Hinweise darauf gefunden, dass auch nährstoffhaltige Substanzen an das Weibchen abgegeben werden. Im kargen Lebensraum dieser Insekten könnte das Männchen seine Nachkommen auf diese Weise mit Startkapital versorgen.

Eher unscheinbar und gut getarnt: Zwei Neotrogla-Insekten bei der Paarung. © Current Biology/ Yoshizawa et al.

Warum sich aber ausgerechnet bei diesen Höhleninsekten dieser skurrile Rollentausch entwickelt hat und bei kaum einem Tier sonst, ist bisher unklar. „Es wird daher wichtig sein herauszufinden, warum nur Neotrogla diesen ausgeprägten weiblichen Penis entwickelte“, sagt Koautor Yoshitaka Kamimura von der Keio Universität. Die Forscher wollen dafür nun auch die Physiologie dieser Insekten genauer studieren und eine Population dieser Tiere im Labor züchten. (Current Biology, 2014; doi: 10.1016/j.cub.2014.03.022)

(Cell Press, 22.04.2014 – NPO/MVI)

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