Frühmensch bekommt ein Gesicht: Forscher haben erstmals rekonstruiert, wie die rätselhaften Denisova-Menschen ausgesehen haben könnten. Von diesen Zeitgenossen der Neandertaler gibt es zwar nur zwei Knochen und drei Zähne. Doch das in diesen Relikten konservierte Erbgut lieferte nun erste Anhaltspunkte. Demnach besaßen diese Frühmenschen ein breites Gesicht, das sich in vielem vom Neandertaler unterschied.
Die rätselhaften Denisova-Menschen haben sich im Erbgut vieler heute lebender Populationen verewigt. Spuren dieser Schwestergruppe der Neandertaler finden sich im Genom von Australiern, Melanesiern und Asiaten. Die Tibeter verdanken ihre Höhenpassung einem Gen, das wahrscheinlich von den Denisova stammt. Und auch zwischen Neandertalern und Denisova gab es vor mehr als 50.000 Jahren offenbar Kreuzungen, wie vor kurzem ein Fossilfund enthüllte.
DNA-Anhänge als Anhaltspunkte
Doch wie diese Frühmenschen aussahen, die sich vor rund 800.000 Jahren von der Stammeslinie des modernen Menschen abgespalteten, war völlig unbekannt. Der Grund: Von den Denisova-Menschen sind bisher nur ein Fingerknochen, drei Zähne und erst seit kurzem auch ein Unterkieferfragment bekannt. Diese wenigen Funde jedoch reichen nicht aus, um daraus auf die Anatomie dieser Menschenart zu schließen.
Dieses Problem haben nun David Gokhman von der Hebräischen Universität Jerusalem und seine Kollegen auf innovative Weise gelöst. Weil die aus Knochen und Zähnen isolierten DNA-Reste der Denisova-Menschen zu wenig Auskunft über ihr Aussehen gaben, haben sie nun epigenetische Indikatoren hinzugezogen – chemische Anhänge an der DNA, die die Genaktivität beeinflussen und damit einen entscheidenden Einfluss auf die tatsächliche Umsetzung der genetischen Bauanleitungen haben.
Genregulation erlaubt Rückschlüsse auf die Anatomie
Für ihre Studie verglichen die Forscher das Muster der DNA-Anhänge aus den Denisova-Proben mit dem von zwei Neandertalern und fünf steinzeitlichen Vertretern des anatomisch modernen Homo sapiens. „Das ermöglichte es uns, eine vergleichende Karte der unterschiedlich methylierten Bereiche für diese Zweige am Homininenstammbaum zu erstellen“, erklären Gokhman und sein Team.
Dann folgte der entscheidende Schritt: Die Forscher suchten mithilfe dieser vergleichenden Methylomkarte nach den DNA-Anhängen, die Einfluss auf die Regulation bestimmter anatomischer Merkmale haben. „Dadurch erhielten wie eine Vorstellung davon, welche Teile des Skeletts durch diese epigenetische Regulation betroffen sind und in welche Richtung dieses Skeletteil sich dadurch verändert – beispielsweise ein längerer oder kürzerer Oberschenkelknochen“, erklärt Gokhman.
Über diese Vergleiche identifizierten die Wissenschaftler 56 anatomische Merkmale, in denen sich die Denisova-Menschen vom Homo sapiens oder dem Neandertaler unterschieden, 34 davon betrafen den Schädel.
Breites Gesicht und langer Kiefer
Das hat es den Forschern schließlich ermöglicht, das Aussehen dieser rätselhaften Frühmenschen erstmals zumindest ansatzweise zu rekonstruieren. „Wir liefern damit die erste Rekonstruktion der Skelettanatomie der Denisova-Menschen“, sagt Gokhmans Kollege Liran Carmel. „In vielen Aspekten ähnelten sie den Neandertalern, in einigen auch uns. Aber es gibt auch einige Merkmale, in denen sie einzigartig waren.
Die Rekonstruktion enthüllt nun erstmals das Gesicht und den Körperbau einer jungen Denisova-Frau. Sie besaß ähnlich wie die Neandertaler eine eher fliehende Stirn und ein langes Gesicht. Auch ihr Becken war relativ breit, wie die Analysen nahelegen. Einzigartig für die Denisova-Menschen könnten dagegen das auffallend breite Gesicht und der relativ lange Kieferbogen gewesen sein.
Individuell oder artspezifisch?
Allerdings: Bisher beruht diese Rekonstruktion nur auf dem Erbmaterial von einem Individuum. Ob diese äußeren Merkmale daher für alle Denisova-Menschen gelten oder individuelle Eigenheiten waren, können die Wissenschaftler daher noch nicht sagen. Dies wird sich erst klären, wenn noch weitere Fossilien gefunden und analysiert werden. (Cell, 2019; doi: 10.1016/j.cell.2019.08.035)
Quelle: Cell Press, Hebrew University of Jerusalem