Wenn der berühmte Hollywood-Psychopath Hannibal Lecter auf der Leinwand Menschen quält, verkrampft sich der Durchschnittszuschauer im Kinosessel, denn wir fühlen instinktiv mit dem Opfer mit. Nicht so der Psychopath selbst: Ein Mitmensch in Not, der Schmerz eines anderen, die eigene Schuld – all das lässt ihn kalt und macht ihn zu einer Bedrohung für die Gesellschaft. Niederländische Forscher haben nun jedoch durch Hirnscans gezeigt, dass Psychopathen nicht prinzipiell die Hirnfunktionen fehlen, die für die Fähigkeit zur Empathie nötig sind: Aufgefordert, sich bewusst in Opfer hineinzuversetzen, zeigt ihr Gehirn normale Reaktionen des Mitgefühls – die Empathie entsteht also nur nicht spontan.
Forscher sind den Ursachen von Psychopathie schon seit einiger Zeit auf der Spur, denn es handelt sich nicht nur um ein gruseliges Einzelphänomen. Schätzungen zufolge ist etwa ein Prozent der Menschen psychopathisch veranlagt. Ihr bedrohlicher Charakter ist dabei keineswegs immer vordergründig, im Gegenteil: Psychopathen wirken auf ihre Mitmenschen häufig sogar ausgesprochen charmant und charismatisch. Sie verheimlichen ihre Gefühlskälte, gehen Beziehungen ein, können sich gesellschaftlichen Normen anpassen und dadurch ein weitgehend unauffälliges Leben führen. Trotzdem spiegelt sich Psychopathie in der Kriminalstatistik deutlich wider: 20 bis 30 Prozent der Gefangenen in US-Gefängnissen sind Untersuchungen zufolge Psychopathen. Sie sind also für einen unverhältnismäßig hohen Anteil von Kriminalität und Gewalt in der Gesellschaft verantwortlich.
Bisherige Untersuchungen der Hirnfunktionen von Psychopathen hatten gezeigt, dass diese auf mitleiderregende Szenen nicht mit der dafür typischen Hirnaktivität reagieren, die bei normalen Menschen mit Empathie einhergeht. Grundsätzlich bestätigen auch die aktuellen Ergebnisse der Forscher um Christian Keysers vom University Medical Center Groningen dieses Phänomen. Doch die bisherige Annahme, dass Psychopathen schlicht die Hirnfunktion für Empathie fehlt, ist falsch, legt ihre Untersuchungen auch nahe.
Blick ins Psychopathenhirn
Die Forscher führten die Studie mit 18 Probanden durch, bei denen zuvor Psychopathie diagnostiziert worden war. Es handelte sich um niederländische Gefängnisinsassen, die für die Studie einen streng gesicherten „Ausflug“ ins Social Brain Lab des University Medical Center Groningen unternehmen durften. Dort wurden ihnen Videofilme vorgeführt, wähnend ein Hirnscanner ihre Hirnaktivität erfasste. Zum Vergleich diente den Forschern eine Kontrollgruppe aus Probanden ohne psychopathische Veranlagung. Alle Teilnehmer sahen kurze Videoclips von zwei Menschen, die miteinander interagierten, wobei der Fokus auf deren Händen lag. Die Filmausschnitte zeigten unterschiedliche Arten von Berührungen: liebevolle, schmerzhafte oder neutrale.
Bei normalen Menschen sorgt eine Art Spiegelsystem dafür, dass wir nachempfinden, was unseren Mitmenschen widerfährt. Die Aufnahmen des Hirnscanners dokumentierten dies auch klar bei den Probanden der Kontrollgruppe: Ihre Schmerzzentren im Gehirn wurden aktiviert, wenn sie die schmerzhaften Interaktionen beobachteten. Bei den Psychopathen war das nicht der Fall: Der Anblick verdrehter Hände lösten bei ihnen im Gehirn kein Muster aus, das einem empathischen „Autsch“ entspricht.
Anschließend forderten die Forscher die psychopathisch veranlagten Versuchsteilnehmer dann jedoch auf, sich bewusst in das Opfer des Videoclips hineinzuversetzen. Und siehe da: Nun zeigten die Aufnahmen des Hirnscanners Hirnaktivitäten, die der von normalen Menschen bei Schmerz-Empathie entspricht. Das Spiegel-System ist bei Psychopathen also nicht kaputt oder fehlt, es wird nur nicht spontan aktiviert, folgern die Wissenschaftler.
Den Forschern zufolge ist die reduzierte spontane Empathie in Kombination mit der Fähigkeit, sie bewusst aktivieren zu können, möglicherweise eine fatale Kombination: Psychopathen können dadurch mitleidslos sein, wenn sie ihre Opfer schädigen, können sich aber zuvor durchaus gut in sie hineinversetzen, um sie zu verführen. Ob sie dieses System allerdings tatsächlich bewusst einsetzen, müsse erst noch geklärt werden, betonen die Wissenschaftler. Auf der anderen Seite könne sich die grundsätzlich vorhandene Fähigkeit zur Empathie möglicherweise im Rahmen von Therapien nutzen lassen: Man sollte nun Therapieansätze testen, die darauf abzielten, dass Psychopathen die vorhandene Kapazität automatisch aktivieren, sagen Christian Keysers und seine Kollegen.
(University Medical Center Groningen, 25.07.2013 – MVI)