Biologie

Menschenaffen erkennen Freunde noch nach Jahrzehnten

Schimpansen und Bonobos haben bestes soziales Gedächtnis im Tierreich – nach uns Menschen

Schimpansen
Schimpansen erkennen enge Freunde und Familienangehörige selbst nach Jahrzehnten noch auf Fotos. © Johns Hopkins University

Schimpansen und Bonobos können sich selbst nach Jahrzehnten der Trennung an Freunde und Verwandte erinnern. Sie reagieren noch nach mehr als 25 Jahren auf deren Fotos, wie ein Experiment belegt. Damit haben die Menschenaffen nach dem Menschen das langanhaltendste soziale Gedächtnis im Tierreich, noch vor Delfinen und Raben. Dies legt nahe, dass schon die gemeinsamen Vorfahren von Schimpanse und Mensch diese Fähigkeit besaßen. Sie könnte entscheidend für die Bildung komplexer sozialer Gemeinschaften und für kulturelle Fortschritte gewesen sein.

Unser soziales Gedächtnis sorgt dafür, dass wir Freunde und Verwandte wiedererkennen, aber uns auch merken, wer uns früher mal übel mitgespielt hat. Selbst nach fast 50 Jahren können wir uns an frühere Freunde und Feinde erinnern. Diese Fähigkeit des sozialen Erinnerns gilt als Voraussetzung für komplexere soziale Gemeinschaften und die kulturelle Entwicklung. Für unsere Vorfahren könnte sie sogar überlebenswichtig gewesen sein. Doch wann entwickelten sie soziale Gedächtnis?

Raben, Delfine – und wer noch?

Klar scheint, dass das menschliche Gedächtnis für soziale Beziehungen im Tierreich einzigartig ist. Nahe kommen ihm nur die Raben, die sich immerhin noch einige Jahre lang an spezifische Artgenossen oder Menschen erinnern können. Übertroffen werden sie allerdings noch von den Delfinen, die auch nach 20 Jahren noch die individuellen Pfiffe von Artgenossen wiedererkennen. „Bisher war dies das am längsten anhaltende soziale Gedächtnis, das je bei einem nichtmenschlichen Tier gefunden wurde“, sagt Erstautorin Laura Lewis University of California in Berkeley.

Doch wie Lewis und ihr Team nun entdeckt haben, verfügen auch unsere nächsten Verwandten – Schimpansen und Bonobos – über ein verblüffend langlebiges Sozialgedächtnis. Anstoß für ihr Experiment gab die Beobachtung, dass diese Menschenaffen nicht nur Artgenossen nach längerer Abwesenheit wiederzuerkennen scheinen, sondern auch Menschen, mit denen sie früher häufiger Kontakt hatten. Unklar blieb aber bisher, wie lange diese Erinnerungen erhalten bleiben und ob wirklich ein soziales Gedächtnis dahinter steckt.

Erkennungstest
Erkennungstest: Beispiel für Testbildschirm mit dem Foto eines bekannten und unbekannten Bonobos. © Lewis et al./ PNAS, CC-by 4.0

Fotos „verschollener“ Artgenossen

Um dies zu testen, sammelten das Forschungsteam Fotos von Schimpansen und Bonobos, die früher im Zoo von Edinburgh, im belgischen Planckendael Zoo und im Kumamoto-Schutzgebiet in Japan lebten, dann aber die dort lebenden Affengruppen verließen oder gestorben waren. Die Fotos zeigten diese Schimpansen oder Bonobos zu dem Zeitpunkt, an dem die dort noch lebenden Artgenossen sie zuletzt gesehen hatten. Dies lag zwischen neun Monaten und 26 Jahren zurück.

Für das eigentliche Experiment wählten die Forschenden die Schimpansen oder Bonobos, die mit diesen „verschollenen“ Artgenossen befreundet, verwandt oder verfeindet waren. Diesen zeigten sie dann jeweils zwei Fotos: Eines zeigte den bekannten Artgenossen, das andere einen unbekannten. Mithilfe eines Eye-Trackers beobachteten die Biologen dann, wie lange und intensiv der Menschenaffe die Bilder fixierte. Zur Belohnung für ihre Teilnehme erhielten die Menschenaffen einen Becher mit verdünntem Fruchtsaft.

„Es war ein eigentlich simpler Test: Würden die Schimpansen und Bonobos das Bild ihres ehemaligen Gruppenmitglieds länger oder kürzer anschauen als das des Fremden?“, erklärt Lewis. Das würde auf ein Wiederkennen hindeuten.

Wiederkennen noch nach 26 Jahren

Und tatsächlich: Die Auswertung der Eye-Tracker-Daten ergab, dass die Menschenaffen die Fotos ihrer ehemaligen Gruppenmitglieder deutlich länger betrachteten. Freunde und Verwandte erhielten mehr Aufmerksamkeit als die ihnen unbekannten Artgenossen. „Ihre Aufmerksamkeit ist dabei umso größer, je enger und positiver die Beziehung zu diesem Artgenossen war“, berichtet Seniorautor Christopher Krupenye von der Johns Hopkins University in Baltimore.

Den extremsten Fall eines solchen Wiederkennens zeigte die Bonobo-Dame Louise: Sie hatte ihre Schwester Loretta und ihren Neffen Erin mehr als 26 Jahre lang nicht mehr gesehen. Trotzdem zeigte sie eine deutliche Reaktion auf ihre Porträts. „Das belegt, dass Schimpansen und Bonobos Artgenossen wiederkennen, selbst wenn sie sie Jahrzehnte lang nicht gesehen haben“, sagt Krupenye. In den Versuchen war zudem auch bei den am längsten getrennten Paaren kein Nachlassen der Erinnerung nachweisbar.

Längstes soziales Gedächtnis aller nichtmenschlichen Tiere

Insgesamt belegen diese Ergebnisse, dass Schimpansen und Bonobos eine bessere soziale Erinnerung zeigen als alle anderen bisher getesteten Tierarten. „Dies ist das am längsten zurückreichende soziale Gedächtnis, das je bei einem nichtmenschlichen Tier gefunden wurde“, sagt Lewis. Hinzu kommt: Im Experiment reichte die getestete Erinnerung nur maximal 26 Jahre zurück, die Biologen vermuten aber, dass Schimpansen und Bonobos sich wahrscheinlich ihr gesamtes Leben erinnern können.

Unsere engsten Verwandten sind uns Menschen demnach auch in diesem Aspekt der Kognition weit ähnlicher als andere Tiere. „Wir wissen zwar nicht genau, wie ihre Erinnerungen aussehen, aber wir wissen jetzt, dass sie lange erhalten bleiben“, sagt Lewis. „Dies zeigt uns erneut, wie ähnlich wir diesen Menschenaffen sind und wie sehr sie uns gleichen.“

Die Ergebnisse werfen aber auch die Frage auf, wie sehr Schimpansen und Bonobos darunter leiden, wenn sie von Familienangehörigen und Freunden getrennt werden. „Unsere Arbeit zeigt klar, wie fundamental und langanhaltend diese Beziehungen bei den Menschenaffen sind“, sagt Krupenye. Es sei daher naheliegend, dass eine Trennung für die Tiere sehr belastend sei.

Schon bei unserem gemeinsamen Vorfahren

Gleichzeitig liefern die Resultate wertvolle Einblicke auch in die Vorgeschichte unserer eigenen Art: Wenn unsere nächsten Verwandten über ein ähnlich gutes soziales Gedächtnis verfügen wie wir, dann könnten dies auch bei den gemeinsamen Vorfahren von Schimpanse und Mensch der Fall gewesen sein. Diese lebten vor sechs bis neun Millionen Jahren.

„Die ererbten Fähigkeiten können eine entscheidende Basis für die Entstehung der einzigartig menschlichen Formen der sozialen Interaktion und Kooperation gewesen sein“, schreiben die Forschenden. „Das langanhaltende Gedächtnis für Gruppenmitglieder und im Speziellen für enge Partner, könnte zur Stabilität der Paarbeziehungen beigetragen haben und die Entwicklung kooperativer kultureller Systeme über Zeit, Raum und Gruppengrenzen hinaus erleichtert haben.“

Lewis und ihre Kollegen wollen nun als nächstes untersuchen, ob dieses gute soziale Gedächtnis auch bei anderen Menschenaffen und Affen vorkommt. Außerdem wollen sie erkunden, wie detailliert das Gedächtnis der Schimpansen und Bonobos ist. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2023; doi: 10.1073/pnas.2304903120)

Quelle: Johns Hopkins University, University of California – Berkeley

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