Gewalt als Strategie oder aus Verzweiflung? Schimpansen töten Konkurrenten im Kampf um Ressourcen, nicht weil der Mensch ihnen den Lebensraum streitig macht. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forscherteam in einer Meta-Studie. Die nun im Magazin „Nature“ beantwortete Frage war lange ein Streitpunkt unter Primatenforschern und Anthropologen. Liefert dies auch eine neue Einblicke auf Gewalt unter Menschen?
Menschen und Schimpansen gehören zu den wenigen Arten auf unserem Planeten, die koordinierte Angriffe gegen andere Gruppen ihrer eigenen Art unternehmen. Die Schimpansenforscherin Jane Goodall beschrieb als eine der ersten Wissenschaftler die tödlichen Attacken einer Schimpansengruppe auf eine andere, und regelrechte Kriege zwischen den Gruppen. Seitdem beschäftigen sich sowohl Primatenforscher wie Anthropologen mit dem Nutzen der geplanten und koordinierten Gewalt gegen die eigene Spezies.
Kampf um Ressourcen oder Reaktion auf Menschen?
Bisherige Theorien reichen einerseits vom Ausschalten der Nahrungskonkurrenten über Eroberung neuer Futterquellen bis zur Entführung von Sexualpartnern. Andere Forscher halten dagegen, dass der Eingriff des Menschen die Ursache für die Gewalttätigkeit der Schimpansen ist: Zerstörte Lebensräume zwingen die Affen demnach dazu, sich mit Gewalt gegen ihre Artgenossen zu behaupten. „Es ist wichtig, diese Frage richtig zu beantworten“, sagt Michael Wilson von der University of Minnesota. „Wenn wir Schimpansen als Modell anwenden, um menschliche Gewalt zu verstehen, müssen wir auch wissen, was die Schimpansen gewalttätig macht.“
Um herauszufinden, welcher der beiden Ansätze der Wahrheit entspricht, analysierte Wilson zusammen mit einem internationalen Team von 30 Affenforschern Daten aus den vergangen 50 Jahren. Die Datensätze beschreiben 18 verschiedene Schimpansen-Populationen, die in unterschiedlichem Maße menschlichen Einflüssen ausgesetzt waren. Gut dokumentiert sind darunter 152 Fälle, in denen die Affen ihre Artgenossen töteten.
Mensch hat keinen Einfluss auf das Töten
Das Ergebnis der Meta-Studie: Die Angriffe sind eher durch den Kampf um natürliche Ressourcen motiviert als eine Reaktion auf menschliches Eindringen. „Wir fanden heraus, dass der Einfluss des Menschen keinen Einfluss auf das Töten zwischen einzelnen Gemeinschaften hatte“, fasst Koautor David Morgan vom Lincoln Park Zoo in Chicago zusammen. Gewalttätiges Verhalten liegt also offenbar in der Natur der Affen.
Wilde Schimpansen werden oft vereinfacht in zwei Kategorien eingeteilt: Solche in unberührter Natur, und solche in vom Menschen gestörten Regionen. „In Wirklichkeit geschieht menschlicher Einfluss entlang eines fließenden Übergangs“, erklärt Morgan. Die aktuelle Studie berücksichtigt dies, denn die untersuchten Affengemeinschaften umspannen das ganze Spektrum solcher Störungen durch Menschen.
„Menschen haben seit langem den tropischen Regenwald in Afrika und damit die Schimpansen beeinträchtigt“, führt Morgan aus. Auch darum sei es wichtig zu wissen, dass nicht erst solche Eingriffe die Schimpansen zum Töten zwingen. „Je mehr wir über die Aggressivität der Schimpansen lernen“, so Morgan, „desto besser werden die Betreiber der Naturparks und die Regierungen in der Lage sein, Risiken für Schimpansen-Populationen durch die veränderte Landnutzung durch Menschen in ihrem Lebensraum zu kontrollieren.“
(Nature, 2014; doi: 10.1038/nature13727)
(Lincoln Park Zoo, 19.09.2014 – AKR)