Gewinner der Katastrophe: Nach dem Massenaussterben vor 66 Millionen Jahren nutzten die Schlangen ihre Chance – sie breiten sich rasant aus und entwickelten in schneller Folge neue Arten, wie eine Studie zeigt. Die Schlangen profitierten dabei von den durch das Aussterben freigewordenen Nischen, ihnen könnten zudem ihre Anpassungen ans Graben, an die nächtliche Beutejagd und an längere Hungerperioden zugutegekommen sein, wie Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten.
Schlangen kommen auf fast allen Kontinenten vor, nutzen verschiedenste Jagdstrategien, um ihre Beute zu fangen, und können schwimmen, auf Bäume klettern und sogar fliegen – jedenfalls fast. Allein gemeinsam ist aber ihre Beinlosigkeit: Durch Genmutationen und die Anpassung an eine grabende Lebensweise bildeten die zunächst noch vierbeinigen Schlangenvorfahren ihre Gliedmaßen zurück. Die ersten beinlosen Schlangen krochen in der späten Kreidezeit zwischen den Dinosauriern umher, wie Fossilfunde belegen.
Molekulare Zeitreise
Aber wie ging es dann mit den Schlangen weiter? Und wie überstanden sie das Massenaussterben vor 66 Millionen Jahren? Eine Antwort darauf könnten nun Catherine Klein von der University of Bath und ihr Team gefunden haben. Weil es kaum Fossilien aus der Zeit des Asteroideneinschlags und direkt danach gibt, haben sie eine Reihe andere Methoden zur Rekonstruktion der Schlangengeschichte genutzt.
Für ihre Studie führten sie zusätzlich zu morphologischen Vergleichen einen DNA-Vergleich bei Vertretern von 115 heute existierenden Schlangengruppen durch, um ihre Verwandtschaft zu bestimmen. Dann schätzten sie anhand der Mutationsrate ab, wann sich die verschiedenen Linien voneinander getrennt haben. Zusätzlich ermittelten sie anhand der vorhandenen Fossilfunde, wie die Schlangen vor und nach dem Massenaussterben geografisch verteilt waren.
Sechs Stammeslinien überlebten
Die Analysen ergaben: Als vor 66 Millionen Jahren ein Asteroid die Erde traf und fast drei Viertel der irdischen Spezies vernichtete, traf es auch die Schlangen. Von den in der Kreidezeit existierenden Arten überlebte wahrscheinlich nur eine gute Handvoll das Massenaussterben. „Unser molekulare Uhr spricht dafür, dass nur sechs heute noch existierende Schlangen-Abstammungslinien damals die Grenze von der Kreidezeit zum Paläogen überdauerten“, schreibt das Team.
Diese urzeitlichen Schlangen lebten damals vorwiegend im Gebiet des früheren Südkontinents Gondwana – der Landmasse, aus der später Afrika, Südamerika und Australien sowie die Antarktis hervorgingen. Zu den Überlebenden nach dem Massenaussterben gehörten Vorfahren der heute in Südostasien heimischen Erdschlangen, einige heute ausgestorbene Vertreter der echten Schlangen, aber auch die Blindschlangenartigen.
Gut an die Katastrophen-Folgen angepasst
Anders als andere Tiergruppen, die mit dem vom Rauch der weltweiten Brände verdunkelten Himmel, dem Kollaps der Photosynthese und dem jahrelangen Einschlagswinter nicht zurechtkamen, waren die überlebenden Schlangen jedoch gut gewappnet: „Die Anpassungen an eine grabende Lebensweise könnte der Schlüssel zu ihrem Überleben gewesen sein, denn der Aufenthalt unter der Erde schützte sie vor vielen Umweltfolgen des Asteroideneinschlags“, erklären Klein und ihre Kollegen. Weitgehend geschützt waren vermutlich auch einige Schlangenarten, die im Süßwasser lebten und so vor den schlimmsten Auswirkungen von Hitze, Feuer und Kälte bewahrt blieben.
Ebenfalls zugute kam den Schlangen ihre Anpassung an lange Zeitperioden ohne Futter. „Das dürfte ihr Überleben in der Zeit nach dem Impakt erleichtert haben, als Beute nur spärlich zur Verfügung stand“, so die Forschenden. „Auch die Fähigkeit, ihre Beute im Dunkeln aufspüren zu können, hat ihnen unter den schummrigen Lichtverhältnissen nach dem Einschlag wahrscheinlich geholfen.“
Eroberung neuer Nischen
„Das ist wirklich bemerkenswert – nicht nur, weil sie ein Massenaussterben überstanden, dass so viele andere Tiere auslöschte, sondern auch, weil sie innerhalb weniger Millionen Jahre zahlreiche Innovationen entwickelten“, erklärt Klein. Denn als sich der Rauch lichtete, eroberten die Schlangen viele der Nischen, die nun durch das Aussterben anderer Tiergruppen freigeworden waren. Weil beispielsweise kleinere Dinosaurier verschwunden waren, hatten die Schlangen nun bei ihrer Jagd auf kleine Beutetiere kaum noch Konkurrenz.
Innerhalb relativ kurzer Zeit entstandenen dadurch zahlreiche neue Stammeslinien der Schlangen, darunter auch riesige Seeschlangen von bis zu zehn Metern Länge, aber auch erste Vorläufer heutiger Schlangenformen. So etablierten sich wahrscheinlich um diese Zeit die ersten Schlangen in Asien, darunter die Vorfahren der heutigen Boas und Vipern.
„Unsere Forschung deutet darauf hin, dass ein Aussterben eine Art kreativer Zerstörung bewirkt: Indem es alte Spezies ausradiert, erlaubt es den Überlebenden, die entstandenen Lücken im Ökosystem zu füllen und mit neuen Lebensweisen und Habitaten zu experimentieren“, sagt Kleins Kollege Nicholas Longrich.
Ein zweiter Schub vor 33 Millionen Jahren
Auf dem Weg zu Evolution der heute rund 3.700 Schlangenarten gab es aber noch eine weitere Phase der „Turbo-Evolution“, wie die Daten enthüllten: Vor rund 33 Millionen Jahren, am Übergang von Eozän zum Oligozän, brachen die Reste des alten Südkontinents Gondwana auseinander und das Klima änderte sich. Die Mitteltemperaturen sanken um mehrere Grad und an den Polen wuchsen wieder Eiskappen. Für die Schlangen bedeutete dies einen weiteren Einschnitt, bei dem unter anderem die riesigen Seeschlangen ausstarben.
Parallel dazu aber profitierten andere Schlangengruppen von den geänderten Bedingungen und eroberten erneuten neue Nischen wie beispielsweise die sich damals ausbreitenden Steppen und Prärien. In dieser Zeit entstanden weitere Arten der heutigen Pythons, Kobras, Nattern und Boas, wie die Forschenden berichten. (Nature Communications, 2021; doi: 10.1038/s41467-021-25136-y)
Quelle: University of Bath