Kanadische Wissenschaftler haben einen Schlüsselmechanismus der Gewebebildung entdeckt, der weitreichende Auswirkungen auf die Züchtung von Geweben im Labor und auf die Behandlung von Krankheiten wie Krebs oder Spina bifida (angeborene Querschnittslähmung) haben könnte. Die in der aktuellen Ausgabe von Nature veröffentlichte Studie zeigt, dass der Mechanismus, der die Differenzierung von Zellen steuert, auch das Gewebewachstum kontrolliert.
{1l}
Die Ergebnisse der Studie von Rudolf Winklbauer und Hiromasa Ninomiya von der Universität von Toronto geben neue Einblicke in den Prozess der Morphogenese, die entscheidende Phase während der Entwicklung eines Embryos, in der Zellen und Gewebe sich bilden. „Die Morphogenese hat die Wissenschaftler schon immer fasziniert“, erklärt Winklbauer. „Sie bestimmt einen Großteil der Embryonalentwicklung und ist für zahlreiche Missbildungen verantwortlich, darunter die Spina bifida, einen häufigen Geburtsfehler, bei dem das Rückenmark nur unvollständig ausgebildet ist.“
Mithilfe von Gewebeproben von Froschembryonen erforschten Ninomiya und Winklbauer die so genannte „konvergente Extension“, einen Prozess bei dem sich Gewebe ausdehnt während die Zellen ihre Positionen verändern. Sie versetzten die Gewebe mit unterschiedlichen Dosen von Activin, einem Protein, das die Zelldifferenzierung anregt und beeinflusst. Dabei zeigte sich, dass schon geringe Dosisunterschiede das Verhalten von Zellen innerhalb eines Gewebes beeinflussten. „Die Zellen differenzieren sich nicht nur, sie scheinen sich auch daran zu erinnern, wo sie ‚hingehören“, erklärt Winklbauer. „Selbst wenn die Zellen durcheinander gemischt wurden, wandern sie automatisch an die richtige Stelle. Wenn wir diesen Prozess verstehen, werden wir zukünftig besser imstande sein, die molekulare Basis der Gewebeformung zu erforschen.“
Bislang war wenig darüber bekannt, wie die Richtung von Gewebeveränderungen so kontrolliert wird, dass eine normale Embryonalentwicklung erfolgen kann. Die jetzigen Erkenntnisse könnten daher auch wichtige Hinweise für die Gewebe- und Organzüchtung im Labor liefern. Winklbauer betont jedoch, dass noch viel Arbeit erforderlich ist, um aus den aktuellen Ergebnissen konkrete Anwendungen beispielsweise für die Heilung von Krankheiten zu entwickeln: „Die Identifizierung dieses Mechanismus ist das erste Teil des Puzzles. Jetzt müssen wir die Moleküle identifizieren, die diesen Mechanismus möglich machen.“
(University Of Toronto, 19.07.2004 – NPO)