Wissenschaftler haben bei Rauchern erstaunliche Veränderungen in der Emotionsverarbeitung festgestellt. Nach zwölfstündigem Nikotinentzug war bei diesen das Angstzentrum im Gehirn, die Amygdala, weitgehend außer Kraft gesetzt. Abschreckungskampagnen mit Aufnahmen von Raucherlungen oder Tumoren seien bei den Süchtigen deshalb vermutlich kaum wirksam.
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„Offenbar sind sie gedanklich in ihrer Sucht gefangen und dann weniger empfänglich für Angst einflößende Reize. Raucher brauchen offenbar das Nikotin, um die Normalfunktion ihrer Amygdala aufrecht zu erhalten“, sagt der Neurologe Özgür Onur von der Universität Köln. Bei Nichtrauchern dagegen sei das Angstzentrum hingegen aktiv, die schockierenden Bilder würden deshalb durchaus ihr Ziel erreichen. „Wer noch nicht raucht, kann absehbar durch solche Schock-Kampagnen vom Zigarettenkonsum abgehalten werden“, sagt der Forscher.
Schockierende Fotos als Abschreckung geplant
1,2 Milliarden Raucher gibt es weltweit. Statistiken gehen davon aus, dass etwa die Hälfte von ihnen vorzeitig an den Folgen ihrer Nikotinsucht sterben wird. Um vor den Gefahren zu warnen, drucken einige Länder bereits schockierende Bilder auf Zigarettenpackungen. Die neue Studie, an der 28 Raucher und ebenso viele Nichtraucher teilnahmen, bescheinigt dieser Strategie aber nur geringe Erfolgsaussichten.
Die Forscher aus Bonn, Köln und Berlin zeigten ihren Testpersonen Fotos von fröhlichen, angsterfüllten und neutralen Gesichtern. Gleichzeitig erfassten sie deren Gehirnaktivität in der Amygdala, auch als „Mandelkern“ bezeichnet. Das dort liegende Angstzentrum war immer dann aktiv, wenn die Probanden ängstliche Gesichter zu sehen bekamen.
„Bei Rauchern und Nichtrauchern zeigten sich hier zunächst keine Unterschiede. Die Verarbeitung von Emotionen im Gehirn funktionierte bei beiden Gruppen also ähnlich“, sagt Onur. Dies galt jedoch nur, wenn die Süchtigen vorher ihre übliche Tagesdosis an Zigaretten – im Schnitt 17 am Tag – konsumiert hatten.
Aktivität im Angstzentrum sinkt bei Abstinenz
Hatten die Raucher aber eine zwölfstündige Abstinenz hinter sich, zeigte sich ein anderes Bild. „Die Aktivität des Angstzentrums war bereits nach wenigen Stunden Enthaltsamkeit im Vergleich zu vorher stark herabgesetzt“, sagt Onur. „Bilder von ängstlichen Menschen waren ihnen schlicht egal.“
Die mangelnde Furcht sei aber problematisch. „Angst ist ein archaischer Trieb und schützt uns davor, Gefährliches zu tun“, sagt René Hurlemann vom Bonner Universitätsklinikum. Dieses natürliche Reaktionsmuster zeigen seit kurzem enthaltsame Raucher nicht. Er bezweifelt daher, dass Abschreckungskampagnen mit dramatischen Bildern bei der Mehrzahl der Süchtigen eine große Wirkung haben werden. Um diesen Menschen trotzdem zu helfen, solle man stattdessen stärker in Therapiemaßnahmen investieren – und in eine Forschung, die die Raucherentwöhnung für verschiedene Patienten optimiere. (Human Brain Mapping, 2011; DOI:10.1002/hbm.21293)
(Universität Bonn, 14.07.2011 – DLO)