Schon eine relativ leise Dauerbeschallung kann die Hörzentren des Gehirns schädigen und dadurch das Gehör beeinträchtigen. Dazu reichen bereits wechselnde Geräusche einer Lautstärke von 65 Dezibel aus, dies entspricht etwa der Lautstärke eines Fernsehers oder eines lauten Ventilators. Das zeigen Experimente eines internationalen Forscherteams an Ratten.
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„Chronische Belastung durch gemäßigten Lärm beeinträchtigt die akustische Wahrnehmung und die Verarbeitung von Hörreizen signifikant und anhaltend“, schreiben Xiaoming Zhou von der East China Normal University in Schanghai und Michael Merzenich von der University of California in San Francisco. Das gelte selbst dann, wenn die Geräusche in bisher als harmlos geltenden Lautstärkebereichen liegen.
Die Forscher hatten Ratten zwei Monate lang mit unregelmäßig schwankendem Lärm von 65 Dezibel beschallt. Anschließend zeigten die Gehirne der Ratten deutliche Veränderungen bei der Verarbeitung von Hörreizen. Die Tiere hatten dadurch Schwierigkeiten, unterschiedlich schnelle Tonfolgen voneinander zu unterscheiden. Diese Effekte seien sowohl bei einer 24-Stunden-Beschallung aufgetreten als auch bei nur zehn Stunden Lärm pro Tag, berichten die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“.
Lärm unterhalb 85 Dezibel galt bisher als unschädlich
Bisher war bekannt, dass Lärm oberhalb von 85 Dezibel auf Dauer das Innenohr und damit direkt das Hörvermögen schädigen. Dauerlärm niedrigerer Lautstärke galt dagegen bisher als ungefährlich, da er dem Ohr selbst nicht schadet. Bisher habe man nur bei Ungeborenen Nachwirkungen bei einer Beschallung unterhalb von 85 Dezibel beobachtet, sagen die Forscher. Jetzt zeige sich, dass auch die als weniger empfindlich geltenden Gehirne Erwachsener bereits auf diese niedrigeren Lärmpegel reagierten.
„Der Mensch wird heute kontinuierlich mit Umweltlärm bombardiert, sowohl am Arbeitsplatz als auch zuhause“, konstatieren die Forscher. Ihrer Ansicht nach müssen die Risiken durch diese Lärmbelastung zukünftig genauer erfasst werden und möglicherweise auch die Lärmschutzbestimmungen entsprechend angepasst werden.
Zwei Monate Dauerbeschallung wechselnder Intensität
Für ihre Studie hatten die Forscher drei Monate alte – und damit ausgewachsene – Ratten zwei Monate lang sogenanntem strukturiertem Lärm ausgesetzt. Dieser besteht aus Geräuschen verschiedener Tonhöhen und Lautstärken, die sich unregelmäßig verändern. „Diese Breitband-Belastung bildet die typische Geräuschkulisse beispielsweise an industriellen Arbeitsplätzen und anderen modernen Arbeitsumgebungen realistisch nach“, sagen die Forscher. Maximale Lautstärke dieser Beschallung waren 65 Dezibel. Eine Rattengruppe wurde diesem Lärm jeweils 24 Stunden ausgesetzt, eine zweite wurde nur jeweils zehn Stunden lang beschallt, gefolgt von einer 14-stündigen Ruhepause.
Nach Ende der zweimonatigen Lärmphase analysierten die Forscher die Gehirnaktivität der Ratten in den Hörzentren des Gehirns und verglichen diese mit Kontrolltieren, die ohne Lärm gehalten worden waren. In einem ergänzenden Verhaltenstest prüften sie zudem, wie gut die Ratten Tonfolgen von 20 Tönen pro Sekunde von langsameren oder schnelleren unterscheiden konnten. Sowohl die Gehirnaktivität als auch die Hörtests deuten darauf hin, dass die Lärmbelastung systematische Schäden in den Hörzentren des Gehirns hinterlassen hatte, wie die Forscher berichten. Dieser Effekt sei auch mehr als sechs Wochen nach Ende der Lärmperiode nicht abgeklungen. (doi:10.1038/ncomms1849)
(Nature Communications, 16.05.2012 – NPO)