Mit ihren langen Stängeln und blütenartigen Armen gleichen die Seelilien zarten, am Meeresboden festgewachsenen Pflanzen obwohl es sich in Wirklichkeit um Tiere handelt. Lange Zeit galten sie als fest im Untergrund „verwurzelt“, doch jetzt haben Wissenschaftler die vermeintlich sessilen Tiere beim Wandern erwischt. Auslöser: Die Flucht vor gefräßigen Seeigeln.
Seelilien, zur Gruppe der Crinoiden gehörend, sind enge Verwandte von Seesternen, Seegurken und Seeigeln. Doch im Gegensatz zu diesen galten sie bisher immer als festsitzend. Tomasz Baumiller, Professor für Geowissenschaften an der Universität von Michigan und sein Kollege Charles Messing von der Nova Southeastern Universität in Florida hatten jedoch schon seit längerem den Verdacht, das zumindest einige Seelilienarten sich sehr wohl fortbewegen können.
Auf Wanderschaft ertappt
In vorherigen Studien hatten sie bereits festgestellt, dass einige Seelilien regelmäßig ihr Stängelende an speziellen Knotenpunkten unterhalb von finderähnlichen Auswüchsen abwerfen und neu bilden. Dieser Prozess könnte, so die Hypothese der Forscher, dazu dienen, sich von einem Standort zu lösen und an einem anderen wieder anzuwachsen.
Und tatsächlich stellten die Wissenschaftler fest, dass im Labor gehaltene Seelilien von Tag zu Tag ihre Position im Wasserbecken veränderten. Später beobachteten sie sogar Exemplare dabei, wie sie sich mithilfe ihrer fedrigen „Blütenköpfe“ vorwärts bewegte. Aber was war die treibende Kraft für diese Ortswechsel? Enge, Nahrungsmangel? Oder doch etwas ganz anderes?
Wettlauf zwischen Lilien und Seeigel
Erst jetzt konnten die Wissenschaftler diese Frage klären: Nach der Durchsicht von hunderten von Stunden Videoaufnahmen von Tauchgängen während des letzten Jahrzehnts wurden sie fündig: Videoaufnahmen, die ein Forschungstauchboot nahe der Insel Grand Bahamas in rund 430 Metern filmte, zeigten Seelilien, die sich gezielt von Seeigeln in ihrer Nähe fortbewegten. Dabei legten die Tiere eine hundertfach höhere Geschwindigkeit an den tag, als bisher beobachtet oder für möglich gehalten.
Aber was genau war der Auslöser für diese Flucht? Nähere Untersuchungen enthüllten, dass die Seeigel am liebsten direkt in vor ihnen schwebende Anhänge lebender Seelilien bissen und am Boden liegende tote Reste eher verschmähten. Die Seelilien schienen darauf mit einer Art „Eidechsen-Taktik“ zu reagieren: „Die Seelilien lässt einfach ihren Stängel zurück. Der Seeigel ist dann damit beschäftig, ihn zu fressen du die Seelilien kann weg kriechen“, erklärt Baumiller. „Und bei einer Fluchtgeschwindigkeit von drei bis vier Zentimetern pro Sekunde würden die Tiere ein Rennen mit den Seeigeln wahrscheinlich gewinnen.“
Baumiller untersucht nun fossile Crinoiden nach Anzeichen dafür, wann und wie die Seelilien die Fähigkeit entwickelt haben, ihre Stängelenden abzuwerfen und davonzukriechen. Er hofft auch, daraus auch mehr über die Wurzeln der Beziehung zwischen den Crinoiden und ihren Fressfeinden zu erfahren. „Wir glauben, dass die Interaktion zwischen diesen langsam-kriechenden bodenlebenden Prädatoren und den Seelilien eine Geschichte hat”, so der Forscher.
(University of Michigan, 17.10.2005 – NPO)