Urzeitliches Techtelmechtel: Forscher haben Indizien für die früheste bislang bekannte Vermischung verschiedener Menschenarten gefunden. Demnach paarten sich schon vor 700.000 Jahren in Eurasien Vertreter einer archaischen Menschenart mit den gemeinsamen Vorfahren der Neandertaler und Denisova-Menschen. Das könnte bedeuten, dass solche zwischenartlichen Kreuzungen selbst bei schon 1,2 Millionen Jahre lang getrennten Menschenarten möglich waren und vorkamen.
Der Stammbaum des Menschen ähnelt eher einem wirren Gestrüpp als einer säuberlichen Ahnentafel. Denn immer wieder kam es während der Menschheitsgeschichte zu Kreuzungen verschiedener Menschenarten miteinander. So paarten sich Neandertaler mit Denisova-Menschen, aber auch mit dem Homo sapiens, unserer Spezies. Und auch die geheimnisvollen Denisova hinterließen Spuren in unserem Erbgut. Genanalysen und archäologische Funde legen zudem nahe, dass auch andere archaische Menschenarten in unserer Stammeslinie mitmischten.
Fahndung im Genom
Nach Hinweisen auf weitere solcher Techtelmechtel haben nun Alan Rogers und seine Kollegen von der University of Utah gefahndet. Mithilfe eines Algorithmus verglichen sie dafür das Erbgut moderner Europäer und Afrikaner mit dem von Neandertalern und Denisova. Sie suchten dabei nach charakteristischen DNA-Signaturen, die auf zwischenartliche Kreuzungen in der Zeit vor rund 600.000 Jahren hindeuten.
„Wir werfen damit mehr Licht auf ein Intervall in der Menschheitsgeschichte, das bisher völlig im Dunkeln lag“, sagt Rogers. Etwa in dieser Zeit breiteten sich die ersten Menschen mit größeren Gehirnen in Eurasien aus und die Werkzeuge der Acheuleen-Kultur tauchten in Europa auf. Zudem trennte sich vor rund 800.000 Jahren die Vorfahren der Neandertaler und Denisova-Menschen – die „Neandersovaner“ – vom Menschenstammbaum ab. Wann sich dann diese beiden Arten trennten, ist jedoch umstritten. Auch darüber sollten die Gen-Analysen Aufschluss geben.
Kreuzung mit „superarchaischem“ Menschen
Das überraschende Ergebnis: Vor rund 700.000 Jahren kam es in Eurasien zu einer zuvor unbekannten zwischenartlichen Kreuzung. „Dies ist die früheste bekannte Vermischung zwischen verschiedenen Menschenarten“, berichten Rogers und seine Kollegen. Dabei paarten sich die gemeinsamen Vorfahren von Neandertalern und Denisova mit einer „superarchaischen“ Menschenart.
Dieser archaische Menschentyp hat sich den Gendaten zufolge schon vor knapp zwei Millionen Jahren vom Stammbaum der restlichen Menschenarten abgetrennt. Um welche Spezies der Gattung Homo es sich dabei handeln könnte, spezifizieren die Forscher jedoch nicht. Sie ermittelten jedoch, dass diese Population in Eurasien damals zwischen 20.000 und 50.000 Individuen umfasst haben muss.
Keine Fortpflanzungsbarriere zwischen den Menschenarten
Sollte sich die Kreuzung dieser archaischen Menschen mit den „Neandersovanern“ bestätigen, dann wäre dies auch in biologischer Hinsicht spannend. Denn die Partner gehörten zu Stammeslinien, die schon 1,2 Millionen Jahre lang voneinander getrennt waren – das ist weit länger als bei jeder anderen bekannten Kreuzung verschiedener Menschenarten der Fall. „Das verrät uns auch einiges darüber, wie lange es dauert, bis sich eine reproduktive Barriere zwischen Arten entwickelt“, sagt Rogers.
Die genetischen Analysen könnten auch ein neues Licht auf die Besiedlungsgeschichte Eurasiens werfen. Denn nach den Berechnungen von Rogers und seinem Team müssten Vertreter der Gattung Homo in drei Schüben von Afrika nach Asien gezogen sein. „Als erstes erfolgte eine Expansion des frühen Homo vor rund 1,9 Millionen Jahren, dann die der Neandersovaner vor rund 70.000 Jahren und schließlich die Auswanderung des modernen Menschen vor rund 50.000 Jahren „, so die Forscher.
Neandertaler älter als gedacht?
Neue Informationen liefert die Genstudie zudem über die Geschichte der Neandertaler. Denn diese könnten sich den DNA-Analysen zufolge schon deutlich früher von den Denisova-Menschen getrennt haben als bisher angenommen. „Unseren Schätzungen nach waren die Neandertaler schon vor 600.000 Jahren eine eigene Stammeslinie, getrennt nicht nur vom Homo sapiens, sondern auch von den Denisova-Menschen“, berichten Rogers und seine Kollegen. Bisher gingen Forscher meist von einer Aufzweigung dieser Stammeslinie erst vor 390.000 Jahren aus.
Eine Bestätigung der neuen Datierung könnten die Fossilien aus dem spanischen Sima de los Huesos liefern. Denn sie sind schon rund 430.000 Jahre alt, wurden aber genetisch dem Neandertaler zugeordnet. Bisher stand dies im Widerspruch mit deren Abspaltung, jetzt passen diese Sima-Frühmenschen wieder ins Bild. (Science Advances, 2020; doi: 10.1126/sciadv.aay5483)
Quelle: University of Utah