Die letzten ihrer Art: Noch vor 38.000 Jahren gab es echte „Einhörner“ in den Steppen Sibiriens und der Mongolei – unsere Vorfahren könnten ihnen daher begegnet sein. Denn entgegen bisherigen Annahmen starb das Urzeit-Nashorn Elasmotherium sibiricum nicht schon vor 200.000 Jahren aus, sondern überlebte bis in die letzte Eiszeit hinein. Das belegen neue Radiokarbondatierungen von Fossilien dieses ungewöhnlichen Wesens.
Die letzten Einhörner Sibiriens waren weder weiß noch zart besaitet: Elasmotherium sibiricum trug ein dichtes schwarzes Fell und wog 3,5 Tonnen – es war damit eines der größten Nashornarten des Quartärs. Dennoch trägt es seinen Spitznamen „sibirisches Einhorn“ durchaus zu Recht: Dieses Urzeit-Nashorn besaß trotz seiner Masse relativ schlanke Gliedmaßen und vor allem ein ungewöhnlich langes Horn: Es könnte bis zu einem Meter lang gewesen sein.
Diese ungewöhnliche Nashorn-Art war einst in weiten Teilen Eurasiens verbreitet. Sein Lebensraum reichte vom Westen Russlands und der Ukraine über Zentralasien bis nach China und in die Mongolei hinein.
Letzte Einhörner noch vor 38.000 Jahren
Doch vor rund 200.000 Jahren verschwand das sibirische Einhorn und starb aus – so dachte man jedenfalls bisher. Jetzt jedoch entlarven Forscher um Adrian Lister vom Natural History Museum London dies als Irrtum. Für ihre Studie hatten sie 23 in verschiedenen Sammlungen aufbewahrte Fossilien dieser Nashornart einer neuen Radiokarbon-Datierung unterzogen.
Das überraschende Ergebnis: Ein Großteil der „Einhorn“-Fossilien ist weit jünger als bisher angenommen. „Unsere Datierungen ergeben ein sich überlappendes Alter von 50.000 bis 36.000 Jahren“, berichten die Forscher. „Die letzten Vertreter von Elasmotherium sibiricum könnten unseren Werten nach noch vor 35.000 bis 38.000 Jahren gelebt haben.“ Das sibirische Einhorn starb demnach erst kurz vor dem Höhepunkt der letzten Eiszeit aus.
Begegnung mit unseren Vorfahren
Das aber bedeutet: Als unsere Vorfahren nach Eurasien einwanderten, existierte dieses ungewöhnliche Urzeit-Nashorn noch. Der Homo sapiens und das sibirische Einhorn könnten sich demnach noch begegnet sein. Die Paläontologen halten es allerdings für unwahrscheinlich, dass unsere Vorfahren dieses Nashorn in größerem Maße jagten oder es sogar ausrotteten. „Bisher sind in keiner archäologischen Fundstätte Überreste von E. sibiricum gefunden worden und es gibt nur einige wenige mögliche Darstellungen dieses Tieres in steinzeitlicher Kunst.“
Interessant ist der spätere Aussterbe-Zeitpunkt dieses Nashorns dennoch. Denn damit verschwand das sibirische Einhorn entgegen früheren Annahmen etwa zeitgleich mit dem Mammut und anderen großen Pflanzenfressern. „Unsere Datierung platziert das Verschwinden dieses Nashorns mitten im spätquartären Aussterbe-Ereignis, bei dem rund 40 Prozent der Säugetiere mit mehr als 45 Kilogramm Körpergewicht im Norden Eurasiens ausstarben“, so die Forscher.
Futtermangel als Aussterbe-Ursache?
Während beim Mammut bis heute strittig ist, warum es ausstarb, haben Lister und sein Team beim sibirischen Einhorn einen relativ konkreten Verdacht: Isotopenanalysen von Knochen und Zähnen, aber auch die Anatomie des Gebisses sprechen dafür, dass dieses Nashorn an ein Leben in der Grassteppe angepasst war. Denn es besaß weder Schneide- noch Eckzähne, dafür aber kräftige nachwachsende Backenzähne, mit denen es harte Gräser zermahlen konnten.
„Das Aussterben von Elasmotherium sibiricum könnte daher mit seinem hohen Grad an Spezialisierung zusammenhängen“, mutmaßen die Wissenschaftler. Als sich im Zuge der Eiszeit die Grassteppen allmählich zur Tundra wandelten, fand das sibirische Einhorn nicht wehr genügend Futter, schaffte es aber nicht, seine Nahrung rechtzeitig umzustellen. Als Folge verschwand dieses größte Nashorn der eurasischen Steppen unwiederbringlich. (Nature Ecology & Evolution, 2018; doi: 10.1038/s41559-018-0722-0)
Quelle: Nature