Weniger ist mehr: Je intelligenter ein Mensch ist, desto weniger vernetzt sind die Nervenzellen seiner Großhirnrinde. Zu diesem überraschenden Ergebnis kommt nun eine Studie mit Beteiligung deutscher Forscher. Demnach ist das Gehirn bei intelligenteren Personen schlank, aber effizient verschaltet. Dies könnte womöglich einige frühere, widersprüchliche Ergebnisse aus der Intelligenzforschung erklären, wie das Team im Fachmagazin „Nature Communications“ berichtet.
Die Grundlagen des menschlichen Denkens faszinieren Wissenschaftler und Laien seit jeher. Unterschiede in kognitiven Leistungen werden dabei vor allem auf individuell unterschiedlich ausgeprägte Intelligenz zurückgeführt. Klar ist inzwischen, dass diese Fähigkeit unter anderem durch die Gene beeinflusst wird. Doch was macht ein intelligentes Gehirn genau aus? Das beginnen Forscher erst nach und nach zu verstehen.
Studien haben ergeben, dass intelligentere Menschen tendenziell größere Denkorgane besitzen. Zudem scheint ihr Gehirn bei kognitiven Herausforderungen andere Aktivitätsmuster zu zeigen. Auch die Vernetzung spielt offenbar eine Rolle. So legte eine erst kürzlich veröffentlichte Untersuchung nahe: Bei „Intelligenzbestien“ sind bestimmte Hirnregionen stärker miteinander verschaltet, andere dagegen jedoch schwächer vernetzt.
Blick in die Großhirnrinde
Diesem Zusammenhang haben sich nun auch Wissenschaftler um Erhan Genç von der Ruhr-Universität Bochum gewidmet. Dafür untersuchten sie die Gehirne von 259 Männern und Frauen mithilfe einer speziellen Form der Magnetresonanztomografie, dem Neurite Orientation Dispersion and Density Imaging. Dank dieser Methode konnten die Forscher in der Großhirnrinde die Menge an Zellfortsätzen messen, mit denen eine Nervenzelle Kontakt zu anderen Nervenzellen aufnimmt – den sogenannten Dendriten. Alle Probanden absolvierten zudem einen Intelligenztest.
Die Auswertung ergab Überraschendes: Je besser die Teilnehmer im Intelligenztest abgeschnitten hatten, desto weniger Dendriten besaß ihr Cortex. Insgesamt, so scheint es demnach, überwiegt bei intelligenteren Menschen die schwächere und nicht die stärkere Vernetzung im Gehirn. Dieses Ergebnis bestätigte auch ein unabhängiger, öffentlich zugänglicher Datensatz des Human-Connectome-Projekts: In der rund 500 Menschen umfassenden Stichprobe zeigte sich der Zusammenhang zwischen Dendritenmenge und Intelligenz ebenfalls.
Erklärung für Widersprüche?
Nach Ansicht der Forscher könnten die neuen Erkenntnisse einige widersprüchliche Ergebnisse aus der Intelligenzforschung erklären. „Man ging davon aus, dass größere Gehirne mehr Nervenzellen enthalten und somit eine höhere Rechenleistung erzielen“, sagt Genç. Andere Studien ergaben allerdings, dass intelligentere Menschen trotzdem weniger neuronale Aktivität beim Bearbeiten eines Intelligenztests zeigen als die Gehirne von weniger intelligenten Menschen.
„Intelligente Gehirne zeichnen sich durch eine schlanke, aber effiziente Vernetzung ihrer Neurone aus“, resümiert Genç. „Dadurch gelingt es, eine hohe Denkleistung bei möglichst geringer neuronaler Aktivität zu erzielen.“ Bereits zuvor hatten Wissenschaftler vermutet, dass die geringere Verschaltung bestimmter Hirnbereiche zum Beispiel dabei hilft, sich zu fokussieren und Unwichtiges auszublenden.
Nichtsdestotrotz bleiben noch viele Fragen offen und manch ein Widerspruch ungeklärt. Wie kluge Köpfe wirklich vernetzt sind und ob es das typische intelligente Gehirn überhaupt gibt, das wird Neurowissenschaftler wohl auch in den nächsten Jahren weiter intensiv beschäftigen. (Nature Communications, 2018; doi: 10.1038/s41467-018-04268-8)
(Ruhr-Universität Bochum, 16.05.2018 – DAL)