Biologie

Singende Lemuren haben den Rhythmus im Blut

Erstmals menschliches Rhythmusprinzip bei einem nichtmenschlichen Primaten nachgewiesen

Indri
Indri-Lemuren sind für ihre koordinierten Gesänge bekannt. Sind darin schon musikalische Muster erkennbar? © Filippo Carugati

Von wegen typisch menschlich: Die auf Madagaskar lebenden Singaffen nutzen bereits ein Grundprinzip menschlicher Musik in ihren Gesängen – sie halten feste Abstände zwischen ihren Lauten ein. Dies ist der erste Nachweis eines solchen kategorisierten Rhythmus bei einem nichtmenschlichen Säugetier. Die Forscher vermuten jedoch, dass sich solche musikalischen „Grundprinzipien“ unabhängig voneinander bei Singaffen, Singvögeln und Mensch entwickelt haben.

Der Sinn für Musik ist tief in uns verankert. Doch wie weit reichen die biologischen Wurzeln der Musikalität zurück? Klar scheint, dass schon Singvögel viele verblüffend „menschliche“ Prinzipien in ihren Gesängen zeigen – von reinen Intervallen bis zu den Kompositionsregeln eines Bach oder Beethoven. Auch rhythmisch können gefiederte Schlagzeuger punkten. Weniger eindeutig ist dagegen das Musikgefühl bei unseren nächsten Verwandten, den Affen. Immerhin haben Schimpansen aber schon beim Tanzen ein gewisses Taktgefühl bewiesen.

Singende Lemuren belauscht

Dass auch manche Affen zumindest ein Grundprinzip der menschlichen Musik verinnerlicht haben, belegen nun die Indri-Lemuren auf Madagaskar. Diese Primaten sind für ihre gesangsartigen, melodiösen Rufe bekannt. „Alle Mitglieder einer Familie singen in zeitlich koordinierten Duetten und Chorussen“, erklären Chiara De Gregorio von der Universität Turin und ihre Kollegen.

Das weckte die Frage, ob die Indri dabei eines der sechs Grundprinzipien menschlichen Musik zeigen: einen kategorisierten Rhythmus. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass Töne immer gleich lang sind – isochroner 1:1-Rhythmus – oder in anderen fest abgestuften Dauern vorkommen. Beim 1:2-Rhythmus sind beispielsweise einige Noten genau doppelt so lang wie die vor und nach ihnen folgenden. In der menschlichen Musik ergibt sich aus solchen Intervallen auch der Takt.

Um herauszufinden, ob auch die Indri ihre Gesänge nach diesem Prinzip strukturieren, haben De Gregorio und ihre Kollegen im Laufe von zwölf Jahren die Gesänge von 39 wildlebenden Indri-Lemuren aus 20 Gruppen aufgezeichnet und analysiert.

Strukturierte Rhythmen

Das Ergebnis: Die Indri-Lemuren äußern ihre Gesangstöne tatsächlich nicht in zufälligen Abständen, sondern zeigen erste regelmäßige Strukturen. „In ihren koordinierten Gesängen zeigen die Indris sowohl den isochronen Rhythmus als auch die 1:2-Rhythmus-Kategorie der menschlichen Musik“, berichtet das Forschungsteam. „Das ist der erste Nachweis solcher rhythmischen Kategorien bei einem nichtmenschlichen Primaten und belegt, dass dieses Prinzip auch unter Säugetieren nicht einzigartig menschlich ist.“

Interessant auch: Ähnlich wie menschliche Musikstücke und die Gesänge mancher Singvögel nutzen die Indris auch das Prinzip des Ritardando: Sie behalten zwar die melodiöse und rhythmische Struktur ihres Gesangs bei, verlangsamen aber die Abfolge der Töne allmählich.

Konvergente Entwicklung

Diese Ergebnisse wecken die Frage, warum die Lemuren diese rhythmische Struktur in ihre Gesängen entwickelt haben – könnte dies ein gemeinsames Erbe aller Primaten sein? „Angesichts der Tatsache, dass der letzte gemeinsame Vorfahre von Indris und Menschen schon vor 77,5 Millionen Jahren lebte, ist ein gemeinsamer Ursprung unwahrscheinlich“, erklären die Wissenschaftler.

Stattdessen gehen sie davon aus, dass sich diese musikalischen Prinzipien unabhängig voneinander bei singenden Tierarten wie den Singvögeln, den Indris und dem Menschen entwickelt haben. „Wie bei den Singvögeln könnte die Isochronie und rhythmische Kategorisierung die Koordination der Gesänge, ihre neuronale Verarbeitung und möglicherweise das Lernen vereinfachen“, schreiben De Gregorio und ihre Kollegen.

Als nächstes plant das Forschungsteam, auch Beispielen für andere musikalische Grundprinzipien im Tierreich zu suchen. „Kategorische Rhythmen sind nur eines der sechs universellen Musikprinzipien, die wir bisher gefunden haben“, erklärt Andrea Ravani vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen. „Wir wollen nun bei den Indri und anderen Arten auch nach Belegen für weitere suchen.“ (Current Biology, 2021; doi: 10.1016/j.cub.2021.09.032)

Quelle: Max-Planck-Institut für Psycholinguistik

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