Evolution

Skorpione riechen mit den Füßen

Das Geruchsorgan von Skorpionen hat sich evolutionär aus Hinterbeinen entwickelt

Der Nordafrikanische Dickschwanzskorpion Androctonus in Angriffsstellung © Harald Wolf

Wenn Skorpione ihre Opfer riechen, ringen diese meistens schon mit dem Tod. Denn das Riechorgan dieser Gliederfüßer liegt an der Unterseite ihres Hinterleibs. Während Insekten und Krebse mit ihren Antennen riechen können, haben Skorpionen ihren Geruchssinn an einem ungewöhnlicheren Ort untergebracht. Sie riechen sozusagen mit ihren Hinterbeinen. Ein deutscher Neurobiologe hat das besondere Sinnesorgan der Skorpione erforscht.

Arthropoden, die Gliederfüßer, machen etwa 80 Prozent aller bekannten Tierarten aus. Zu ihnen zählen Insekten, Tausendfüßer, Krebse, Spinnen und Skorpione. Ihr Köper ist in Segmente gegliedert, wobei an jedem Segment ein Paar Extremitäten sitzen kann. Entwicklungsgeschichtlich haben sich aus diesen Urgliedmaßen Körperteile unterschiedlicher Funktionen entwickelt. Bei Insekten und Krebse konzentriert sich ihr Tast- und Geruchssinn am Kopf. Hier sind Antennen entstanden, mit denen sie chemosensorische und mechanische Reize wahrnehmen können. Skorpione und Spinnen hingegen gehören zu den Kieferklauenträgern, auch Fühlerlose genannt. Statt der Antennen sind bei ihnen aus den vorderen Extremitäten Kieferklauen entstanden.

Kräftige Kieferklauen besetzen den Platz am Kopf

Die Kieferklauen der Skorpione sind kräftige Werkzeuge, die in einer Klaue münden. Zum Töten ihrer Beute dienen sie zwar nicht, dafür haben die Skorpione ihren Giftstachel am Schwanzende. Aber sie

speien über ihre Kieferklauen ihren Magensaft in die Wunde der Beute. Den vorverdauten Nahrungsbrei saugen die Skorpione nach kurzer Zeit dann auf. „Eine eher unappetitliche Vorstellung für uns, doch eine sehr effektive Art, sich die nährstoffreichen Körpersäfte von Insekten, Schnecken oder kleinen Wirbeltieren einzuverleiben“, erklärt Harald Wolf von der Universität Ulm.

Doch diese Anpassung der Skorpione an ihre Beutetiere hat auch Probleme mit sich gebracht. „Wenn du dich wie die Gruppe der Kieferklauenträger einmal dazu entschlossen hast, deine Vorderextremitäten als Werkzeug zur Beuteverarbeitung zu gebrauchen, und diese sich im Laufe der Zeit entsprechend funktional ausdifferenziert haben, kannst du nicht darauf hoffen, dass du damit auch noch riechen kannst. Auf Fühler sowie Antennen musst du dann also verzichten“, veranschaulicht der Skorpionforscher dieses Dilemma.

Aufnahme der riechenden Kammorgane des ägyptischen Dickschwanzskorpions © Harald Wolf

Bauchantennen als Riechorgan

Der Geruchssinn ist allerdings eines der wichtigsten Sinnesorgane im Tierreich. Keine Spezies würde freiwillig darauf verzichten wollen. Die chemosensorische Rezeption ist für die Nahrungs- und Partnersuche sowie für die Kommunikation und Orientierung unabdingbar. Die Lösung der Skorpione und Spinnen ist ungewöhnlich: Wenn sich im Laufe der Zeit aus Urgliedmaßen so unterschiedliche Körperteile wie Laufbeine, Sprungbeine, Geschlechtsfortsätze, Fühler oder sekret-injizierende Kieferklauen entwickeln lassen, könnten sich daraus nicht auch riechende Beine herausbilden?

Während die Spinne ihre berührungsempfindlichen Chemosensoren an den vorderen Tastbeinen trägt, kann der Skorpion mit einer ganz besonderen Konstruktion aufwarten. Seine Geruchsorgane liegen an der hinteren Unterseite des Bauches. Hier sitzen kammähnliche, fächerartige Strukturen. „Die sehen zwar aus wie Antennen, sind aber evolutionär aus Beinen hervorgegangen, die sich morphologisch zu `Bauchantennen´ weiterentwickelt haben. Streng genommen riecht der Skorpion also mit den Füßen“, stellt der Biologe klar.

140.000 Sensorzellen fürs Erschnuppern des Partners

Die Kammform sorgt für eine vergrößerte Oberfläche. Männliche Skorpione tragen dort etwa 140.000 Sensorzellen, darunter sowohl mechanische als auch chemosensorische Rezeptoren. Wieso sich die Riechorgane der Skorpione an so versteckter und unzugänglicher Lage entwickelt haben, ist noch unklar. Wegen der Lage der Bauchantennen seien sie nicht geeignet um olfaktorische Substanzen aus Luftströmungen wahrzunehmen, meint Wolf. Ihre beschränkte Reichweite mache sie für die Nahrungssuche aus der Ferne nicht sehr hilfreich, wohl aber für den körpernahen Beute-Check vor Ort. Wissenschaftler vermuten daher, dass der Skorpion seine Riechorgane vor allem bei der Partnerwahl einsetzt.

So unterschiedlich diese Sinnesorgane bei Gliederfüßern äußerlich betrachtet auch sind, ihre Reizverarbeitung auf der ersten Ebene des Zentralnervensystems läuft sehr ähnlich ab, wie Wolf bei histologischen und cytochemischen Untersuchungen feststellte. Dies zeigt, wie grundsätzlich ähnlich die neurologische Reizverarbeitung in der Chemosensorik organisiert ist. Und das bei der großen Vielfalt in der Entwicklung von Geruchs- und anderen Sinnesorganen. (ChemoSense, 2013;pdf)

(Universität Ulm, 14.02.2014 – KEL)

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