Gefiederte Mahlzeit: Tigerhaie fressen fast alles – selbst Singvögel sind vor den Räubern nicht sicher, wie sich nun zeigt. So haben Forscher in den Mägen junger Haie die sterblichen Überreste von Sperlingen und anderen landlebenden Vögeln identifiziert. Die Tiere müssen den Haien während ihrer alljährlichen Migration über das offene Meer zum Opfer gefallen sein.
Tigerhaie (Galeocerdo cuvier) gelten als Müllschlucker der Meere, denn bei der Futtersuche sind sie alles andere als wählerisch. Von Fischen, über Schildkröten bis hin zu Delfinen: Tigerhaie haben das vielfältigste Nahrungsspektrum aller Haie und fressen fast alles, was ihnen vors Maul kommt. Sogar Autoreifen und Nägel wurden bereits in den Mägen der Tiere gefunden.
Ungewöhnlicher Mageninhalt
Überrascht waren Wissenschaftler nun jedoch, als sie sogar Singvögel in dem Verdauungstrakt der Haie entdeckten – also Beutetiere, die eigentlich Landbewohner sind. Marcus Drymon von der Mississippi State University und seine Kollegen identifizierten die sterblichen Überreste dieser ungewöhnlichen Mahlzeiten im Bauch von jungen Tigerhaien im Golf von Mexiko, denen sie zu Forschungszwecken den Magen ausgepumpt hatten.
Dabei zeigte sich: Von den 105 nach dieser Prozedur wieder unversehrt in die Freiheit entlassenen Jungtieren hatten 41 vor kurzem Vögel verspeist. Darauf deuteten Federn und andere verräterische Inhalte im Magen der Baby-Haie hin. Doch um welche Vogelarten handelte es sich?
Sperlinge, Spechte, Tauben
DNA-Analysen enthüllten, dass die naheliegende Erklärung nicht zutraf: „Die sterblichen Überreste stammten in keinem einzigen Fall von Meeresvögeln“, berichtet Drymon. Stattdessen waren Sperlinge, Schwalben, Spechte, Tauben, Zaunkönige und andere Landvögel den Haien zum Opfer gefallen.
Wie die Forscher erklären, ist es nicht das erste Mal, dass Tigerhaie beim Verspeisen von Vögeln erwischt werden. Doch es handelt sich ihnen zufolge um den ersten wissenschaftlichen Beleg dafür, dass die Haie auch Singvögel fressen, die hauptsächlich an Land leben. Bleibt nur die Frage: Wie gelangten diese Arten überhaupt in die Gefahrenzone?
Erschöpfte Zugvögel
Dafür gibt es eine recht einfache Erklärung: Drymon und seine Kollegen nahmen den Mageninhalt der Tigerhaie unter anderem mehrmals in der Phase des alljährlichen Vogelzugs unter die Lupe. Viele Zugvögel legen auf ihrem Weg weite Strecken auch über das offene Meer zurück – und manchen von ihnen wird der Ozean offenbar zur Falle. „Die Zeit, zu der wir eine bestimmte Vogelart im Magen eines Hais fanden, deckte sich immer mit der Zeit, zu der diese Spezies besonders oft vor der Küste gesichtet wurde“, erklärt Drymon.
„Viele Tiere sind durch die Migration geschwächt. Werden sie müde oder kommt ein schwerer Sturm auf, können sie sich nicht mehr so gut in der Luft halten oder fallen sogar ins Wasser“, ergänzt Mitautor Kevin Feldheim vom Field Museum in Chicago. Die jungen Tigerhaie profitieren von dieser Situation und genehmigen sich hin und wieder einen ungewöhnlichen Snack.
Wie viele andere Haiarten auch sind Tigerhaie potenziell bedroht. Die neuen Einblicke in das Verhalten der Spezies können den Forschern zufolge in Zukunft womöglich auch dabei helfen, sie besser zu schützen. (Ecology, 2019)
Quelle: Field Museum