Skurriles Antlitz: Forscher haben das Geheimnis um die ungewöhnlichen Gesichtszüge eines Tiefsee-Kalmars gelüftet. Der Tintenfisch verfügt mit einem kleinen und einem großen Auge über ein seltsam ungleiches Paar von Sehorganen. Der Grund: Die Augen sind an das Erkennen unterschiedlicher Lichtquellen angepasst. Während das kleine Auge leuchtende Kreaturen vor dunklem Hintergrund erkennt, kann das große Auge besonders gut Silhouetten erspähen, die sich weiter oben vor dem Restlicht der Sonne abheben.
Tiefsee-Kalmare gehören zu den geheimnisvollsten Vertretern der Kopffüßer in den Meeren. Die Tiere können die Farbe ihrer Haut blitzschnell verändern und ihre Beute mit raffinerten Lichtspielen aus der Deckung locken. Auch ihre Augen sind perfekt an das Leben in der Dunkelheit angepasst. Die Sehorgane der Kalmare sind im Verhältnis zum Körper deutlich größer als bei anderen Tintenfischen. Ein extremes Beispiel: die fußballgroßen Augen der Riesen- und Kolosskalmare, die den Tieren auch in Tiefen von über 500 Metern eine schnelle Sichtung feindlicher Pottwale ermöglichen.
Ungleiches Augenpaar
Ein Verwandter dieser Spezies beeindruckt Forscher hingegen nicht so sehr wegen der Riesenhaftigkeit seiner Augen, sondern, weil diese so überhaupt nicht zusammenzupassen scheinen. Denn Histioteuthis heteropsis verfügt über ein kleines bläuliches Auge und über ein ungewöhnlich großes gelbes. Diese asymmetrischen Gesichtszüge verleihen dem Kalmar ein äußerst seltsames Aussehen.
Experten rätseln schon seit der Entdeckung der Art vor über 100 Jahren über den Sinn dieses ungleichen Augenpaars. „Es ist schier unmöglich, Tintenfische dieser Art anzusehen und sich nicht zu fragen, was mit ihnen los ist“, sagt Kate Thomas von der Duke University im US-amerikanischen Durham. Nun haben die Biologin und ihr Team das Geheimnis um das skurrile Antlitz des Kalmars gelüftet.
Eins blickt nach oben, eins nach unten
Die Wissenschaftler analysierten mehr als 150 Videos, die ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge des Monterey Bay Aquarium Research Institute in Kalifornien im Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte von Histioteuthis heteropsis-Vertretern aufgenommen hatten. Dabei entdeckten sie, wozu die Tintenfische ihre unterschiedlich großen Augen benutzen.
Die Kalmare driften oft kopfüber durch das offene Meer und nehmen eine nahezu vertikale Pose ein. Ihr großes Auge ist dabei stets nach oben gerichtet, das kleine Auge blickt hingegen kontinuierlich nach unten. Der Verdacht des Teams: Könnte es sein, dass jedes Auge eine andere Funktion erfüllt und an das Erkennen unterschiedlicher Lichtquellen angepasst ist?
Schwierige Lichtverhältnisse
Immerhin leben die Kopffüßer in Tiefen mit schwierigen Lichtverhältnissen: der sogenannten „Twilight Zone“. In 200 bis 1.000 Metern Tiefe durchdringt das Sonnenlicht das Meer zwar nicht mehr. Es ist aber noch Restlicht vorhanden, das mit zunehmender Tiefe rapide an Intensität verliert. Kreaturen, die über den Kalmaren schwimmen, müssen in diesem Dämmerlicht einerseits als Schatten wahrgenommen werden – es könnte sich um gefährliche Fressfeinde handeln.
Andererseits leben in den tieferen, dunkleren Regionen viele biolumineszente Meeresbewohner, die mit Leuchteffekten auf sich aufmerksam machen und für die Kalmare mögliche Gefahren oder potenzielle Beute signalisieren. Das von ihnen ausgehende Licht ist oft bedeutend heller als die mageren Strahlen der Sonne, die das tiefe Wasser noch erreichen. „Wir glauben, dass bei Histioteuthis heteropsis jeweils ein Auge für eine dieser zwei Aufgaben zuständig ist“, sagt Thomas Kollege Sönke Johnson.
Vergrößerung nur in eine Richtung sinnvoll
Computersimulationen bestätigten diese Theorie. Es zeigte sich: Würde der Tintenfisch nur nach unten schauen, wäre es ihm unmöglich, Silhouetten über ihm zu erkennen. Es macht demnach Sinn, dass ein Auge nach oben blickt. Schon eine kleine Vergrößerung dieses Auges erhöht dabei seine Empfindlichkeit deutlich, wie die Berechnungen offenbarten. Das heißt: Dank des größeren Auges erkennt der Kalmar heranschwimmende Tiere auch im Dämmerlicht gut.
„Das Auge, das nach unten blickt, kann nur nach Biolumineszenz Ausschau halten“, sagt Johnson. „Umrisse sind in diesen Tiefen unmöglich zu erkennen.“ Doch warum ist dieses Auge so klein? Ganz einfach: Auch ein kleines Auge kann leuchtende Objekte vor dunklem Hintergrund ausreichend effektiv erkennen. Die Simulationen zeigten: Eine Vergrößerung bringt dem Auge für diese Aufgabe keinen größeren Nutzen.
Sparen geht vor Schönheit
In diesem Fall hat die Evolution deshalb wohl Ressourcen gespart anstatt auf Symmetrie zu setzen: „Augen sind teuer in der Herstellung und im Unterhalt“, sagt Thomas. „Für Tiere ist es deshalb sinnvoll, wenn die Größe ihrer Sehorgane gerade so ist, dass sie ihre Funktion erfüllen können. Unnötig große Augen lohnen sich nicht. Das wäre Energieverschwendung.“ (Philosophical Transactions B, 2017; doi: 10.1098/rstb.2016.0069)
(Duke University, 13.02.2017 – DAL)