Patent der Natur: Ein simpler Meereswurm nutzt eine „hochmoderne“ Technologie, um seine Borsten zu produzieren – er erzeugt sie mittels 3D-Druck. Sein 3D-Drucker besteht allerdings aus speziellen Zellen, deren lange Haarfortsätze wie die Düsen eines Druckers agieren. Ihre wechselnde Kombination erzeugt genau die Strukturen, die für die Spitze, das Mittelteil und die Basis der Borste nötig sind. Der „Wurmdrucker“ kann dabei selbst feinste Formen im Mikrometerbereich hochpräzise herstellen, wie Forschende entdeckt haben.
Der wenige Zentimeter große Meeresringelwurm Platynereis dumerilii ist ein häufiger Bewohner der küstennahen Meere – auch in unseren Breiten kommt dieser mit Borsten besetzte und am Meeresgrund in Röhren lebende Wurm vor. Aber auch in der Forschung ist Platynereis bekannt, denn der unscheinbare Wurm hat gleich mehrere Besonderheiten: Er richtet seine Fortpflanzung nach dem Mond, besitzt ein überraschend modernes Gehirn und ein Gebiss aus Metall.
Wie erzeugt der Meeresringelwurm seine Borsten?
Eine weitere Besonderheit des Meereswurms haben nun Kyojiro Ikeda von der Universität Wien und seine Kollegen entdeckt. Sie wollten wissen, wie der Polychaete seine aus Chitin bestehenden Borsten produziert. „Anders als Insektenborsten bestehen diese Borsten nicht aus chitinüberzogenen Zellen, sondern werden durch einen Mechanismus an der Borstenbasis erzeugt“, erklärt das Team. „Dieser Prozess erzeugt hochgradig stereotype Geometrien, die von federartigen Strukturen und Haken bis zu zusammengesetzten Strukturen mit winzigen Gelenken reichen.“
Verantwortlich für die Herstellung dieser Borsten scheinen spezielle Zellen zu sein, die sogenannten Chaetoblasten. Doch ob diese Chaetoblasten nur als eine Art Schablone dienen, durch die die Borste hindurchwächst und geformt wird, oder ob sie das Borstenmaterial selbst hervorbringen, konnte nie geklärt werden – bis jetzt. Ikeda und seine Kollegen haben die Borstenproduktion von Platynereis erstmals mithilfe von Mikrotomografie und einer speziellen Form der Rasterelektronenmikroskopie untersucht. Dies erlaubte es ihnen, die einzelnen Stadien der Borstenbildung nachzuvollziehen.
Borste entsteht Stück für Stück
Es zeigte sich: Der Meereswurm nutzt tatsächlich seine Chaetoblasten für die Herstellung der Borsten. Diese Zellen arbeiten dabei verblüffend ähnlich wie ein technischer 3D-Drucker. „Der Prozess beginnt an der Borstenspitze, gefolgt vom Mittelteil und schließlich der Basis der Borsten“, erklärt Seniorautor Florian Raible von der Universität Wien. „Dabei werden die fertigen Teile immer weiter aus dem Körper herausgeschoben.“
„Bei diesem Entstehungsprozess werden also Stück für Stück die wichtigen Funktionseinheiten hintereinander erzeugt, das ähnelt einem 3D-Druck“, so Raible weiter. Im Schnitt dauert es nach diesem Verfahren rund zwei Tage, bis eine Meereswurm-Borste fertiggestellt ist. Die Form der einzelnen Borsten ist dabei je nach Entwicklungsstadium des Wurms kürzer oder länger, spitzer oder flacher.
Mikrovilli als „Extruder“
Doch es gibt noch eine Parallele zum 3D-Druck: um die feinen Unterstrukturen der Borsten zu erzeugen – Zähnchen, Haken und federartige Fortsätze – setzen die Chaetoblasten jeweils unterschiedliche Kombinationen ihrer haarähnlichen „Düsen“ ein. Diese Mikrovilli enthalten das Enzym, das das Chitinmaterial der Borste bildet, und geben es nach Bedarf ab. Die verschiedenen Strukturen entstehen dann dadurch, dass jeweils nur bestimmte Mikrovilli gemeinsam aktiv sind.
„Die präzise Änderung der Zahl und Form dieser Mikrovilli über die Zeit ist damit der Schlüssel für die Ausformung der geometrischen Strukturen der einzelnen Borste, wie etwa einzelner Zähnchen auf der Borstenspitze, die in ihrer Präzision bis unter den Mikrometer-Bereich reichen“, so Raible. Auch in dieser koordinierten und zyklischen Aktivität der einzelnen „Extruder-Düsen“ ähnelt die Borstenproduktion des Meereswurms der Arbeit eines 3D-Druckers, wie das Team erklärt.
Ein biologischer 3D-Drucker
Zusammengenommen klären diese Beobachtungen damit, wie der Meereswurm Platynereis seinen Borsten erzeugt: Die an der Basis der Borsten sitzenden Chaetoblasten sind demnach keine bloßen Schablonen für die Borsten, sondern fungieren als eine Art biologischer 3D-Drucker. Raible und sein Team wollen nun noch weitere Details zur Borstenbiogenese ans Licht zu bringen. Denn die Funktionsweise dieser „Druckerzellen“ könnte auch für die biogene Herstellung von Chitinstrukturen beispielsweise in der Medizin nützlich sein. (Nature Communications, 2024; doi: 10.1038/s41467-024-48044-3)
Quelle: Universität Wien