Biologie

Skurril: Pflanze kann zählen

Fleischfressende Venusfliegenfalle zählt und merkt sich die Zahl der Beutekontakte

Kontakt mit den Sinneshaaren löst Aktionspotenziale in den Zellen aus. © Böhm et al./ Cell

Pflanze mit Zahlengedächtnis: Die fleischfressende Venusfliegenfalle beherrscht simple Mathematik, denn sie kann zählen, wie oft ein Insekt sie berührt. Aus der Zahl dieser Kontakte ermittelt sie, ob sie ihr Fangblatt schließt und auch, wie viel Verdauungssekret sie produzieren muss. Und nicht nur das: Die Pflanze kann sich die Zahl sogar bis zu vier Stunden lang merken, wie Forscher im Fachmagazin „Current Biology“ berichten.

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Dort, wo der Boden karg und die Nährstoffe knapp sind, haben Pflanzen eine ganz besondere Strategie entwickelt: Sie fangen sich ein nahrhaftes Zubrot in Form von Insekten und anderen Tieren. Dafür haben die fleischfressenden Pflanzen raffinierte Methoden entwickelt – von der dreifachen Klebfalle südamerikanischer Taupflanzen über den extrem schnellen Turbosauger des Wasserschlauchs bis hin zur Antihaft-Beschichtung der Kannenpflanze.

Eine besonders feinfühlige Vertreterin der Fleischfresser unter den Pflanzen ist die Venusfliegenfalle. Ihre zu Fangtellern umgebildeten Blätter sind innen mit verlockend duftenden, roten Drüsenhaaren bedeckt. Sie ähneln damit sowohl optisch als auch im Geruch nektarreichen Blüten. Doch landet ein Insekt auf diesem Blatt, schnappt die Falle zu: Das Blatt registriert seine Gegenwart über die drei Sinneshaare auf jeder Blatthälfte und klappt zusammen. Die steifen Zähne am Blattrand verhindern jedes Entkommen.

Erst ab zwei klappt die Falle zu

Ob die Falle ausgelöst wird oder nicht, entscheidet die Pflanze anhand eines raffinierten Zählmechanismus: Wird nur ein Sinneshaar auf der Venusfliegenfalle leicht bewegt, meldet es den ersten Beutekontakt über ein bio-elektrisches Signal. „Ein einzelnes Signal löst aber noch keine Reaktion aus – es könnte sich ja um einen Fehlalarm handeln“, erklärt Rainer Hedrich von der Universität Würzburg.

Erst beim zweiten Kontakt klappt die Falle blitzschnell zu – innerhalb von nur einer Zwanzigstel Sekunde. Ausgelöst wird diese Reaktion, wenn die Beute zwei Sinnesborsten gleichzeitig berührt oder eine innerhalb von 20 Sekunden zweimal hintereinander reizt. Dadurch kommt es ähnlich wie in den Nervenzellen von Tieren zu einer Änderung des Membranpotenzials in den Blattzellen und dies löst die Bewegung aus. Soweit, so bereits bekannt.

Bei Fünf geht die Verdauung los

Doch nun haben Hedrich und seine Kollegen entdeckt, dass die Venusfliegenfalle sogar weiter als nur bis zwei zählen kann. Denn sie entscheidet nun anhand der Zahl der Berührungen durch das gefangene Insekt, ob die Verdauungssäfte fließen und wie stark. Würde ein Beutetier in der falle bewegungslos verharren, gäbe es kein weiteres Signal und die Falle öffnet sich nach einem halben Tag von selbst wieder – ohne dass der Verdauungsprozess ausgelöst wird.

Anders aber, wenn die gefangene Beute zappelt – wie normalerweise üblich. Typischerweise löst es dabei rund 60 Signale in der Sekunde aus, wie die Forscher ermittelten. Als sie diese Kontakte durch schnelle Berührungen einzelner Sinneshaare der Pflanze nachahmten, zeigte sich eine wohlabgestimmte Kaskade von einzelnen Prozess-Schritten – und alle werden wiederum durch das Zählen von Signalen ausgelöst.

So zählt die Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula) die Beutekontakte mit.© CEll

Je mehr Kontakte, desto mehr Sekret

Registriert die Pflanze zwei oder mehr Reize, reagiert sie mit einer Freisetzung des Berührungs- und Wundhormons Jasmonat. Hat die glücklose Beute beim Zappeln dann fünf oder mehr Kontaktsignale ausgelöst, aktiviert die Venusfliegenfalle zusätzlich in ihren 37.000 Drüsen die Gene für Verdauungsenzyme. Gleichzeitig werden Transportmoleküle produziert, die für die Aufnahme der verdauten Insekten in die Pflanze sorgen.

Und noch etwas geschieht: Die Venusfliegenfalle aktiviert Ionenkanäle in ihren Zellen, die Natrium in die Zellen schleusen. Dieses Element fällt beim Verdauen der Insekten in großen Mengen an. „Wir haben uns dann gefragt, ob die Falle berechnen kann, wie viele Kanäle sie für den Abtransport von Natrium bereitstellen muss“, so Hedrich.

Pflanze mit Gedächtnis

Und tatsächlich: Wie Experimente enthüllten, passt die fleischfressende Pflanzen auch das Ausmaß ihrer Reaktion an die Zahl der Kontakte an. Je größer die Beute ist, umso heftiger ist meist auch seine Gegenwehr und umso häufiger werden die Sinneshaare gereizt. Die Venusfliegenfalle produziert dann entsprechend mehr Ionenkanäle als bei einer zaghaften Gegenwehr.

Wie die Forscher feststellten, beherrscht die Venusfliegenfalle aber nicht nur das Zählen, sie kann sich die Zahl der Beutekontakte sogar merken – bis zu vier Stunden lang. Sie damit gewissermaßen eine Pflanze mit Gedächtnis. Auf welchen molekularen Grundlagen diese Merkfähigkeit beruht, wollen die Forscher nun als nächstes erkunden. (Current Biology, 2016; doi: 10.1016/j.cub.2015.11.057)

(Julius-Maximilians-Universität Würzburg, 22.01.2016 – NPO)

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