Gläserner Wal: Forscher haben das komplette Innere eines Zwergwals mit einem industriellen Computertomographen durchleuchtet. Mit den detaillierten, anatomischen Daten konnten sie einen Hörtest simulieren. Demnach ist das Gehör der Zwergwale auf ihren Fressfeind Nummer Eins gepolt und kann auch Richtungen wahrnehmen. Mit ihren Ergebnissen, welche jetzt auf einer Konferenz vorgestellt wurden, wollen die Wissenschaftler auch den Einfluss von Lärm auf die Meeressäuger besser verstehen.
Wale sind für ihr großes Repertoire an komplexen Lauten bekannt: Mit ihrem langgezogenen Stöhnen und hohen Quietschlauten können sie unter Wasser über mehrere Kilometer hinweg kommunizieren. Der Grund: Wasser überträgt die Schallwellen viel besser als Luft. Vor allem Buckelwale und Grönlandwale sind dabei wahre Gesangskünstler. Schon lange rätseln Wissenschaftler jedoch darüber, ob und wie Wale auch die Richtung von Geräuschen wahrnehmen können.
Im Raketen-Scanner
Um mehr über das Hörvermögen von Walen herauszufinden, haben Ted Cranford von der San Diego State University und seine Kollegen nun das Innere eines Zwergwals ganz genau durchleuchtet. Der fast 3,50 Meter lange Wal war schon 2012 an der Küste von Maryland im Nordosten der USA gestrandet und auf Empfehlung eines Tierarztes eingeschläfert worden. Anschließend wurde der Wal abtransportiert und im Ganzen eingefroren.
„Wir haben darum gebeten, uns den Wal ausleihen zu dürfen und in einem industriellen Computertomographen zu scannen, der eigentlich für die Motoren von Feststoffraketen designt wurde“, sagt Cranford. Auf diese Gelegenheit mussten die Forscher ganze zwei Jahre warten. Die Scans des Walinneren dienten ihnen dann als Input für eine Simulation, mit der sie einen Hörtest ersetzten.
„Unsere Techniken ermöglichen es, die biomechanischen Prozesse von Geräuschwahrnehmung zu simulieren und die Hörkurve des Wales anhand der anatomischen Details abzuschätzen“, erklärt Cranford. „Der Scan des gesamten Zwergwals erlaubt uns dann vorherzusagen, wie gut der Wal über einen Frequenzbereich hinweg hören kann.“
Zwergwale hören ihre Fressfeinde besonders gut
Bisherige Forschung hatte darauf hingewiesen, dass Zwergwale vor allem mit Lauten im Bereich zwischen 50 und 300 Hertz kommunizieren sowie mit kurzen Klickgeräuschen zwischen 1.000 und 2.000 Hertz. Zwergwale sind in diesen Bereichen wahrscheinlich besonders empfindlich, um ihre Artgenossen hören zu können. „Es war deswegen sehr überraschend, dass unser Modell eine Empfindlichkeit zwischen zehn und 40 Hertz vorhersagte“, so Cranford.
Doch warum hören die Meeressäuger in diesem Bereich so gut? Die Forscher vermuten, dass die Zwergwale für diese Frequenzen besonders empfindlich sind, um ihren wichtigsten Fressfeind besser hören zu können – den Killerwal. In der Hörkurve von Finnwalen fanden die Forscher diese Sensibilität für hochfrequente Töne dagegen nicht. Der Finnwal ist etwa doppelt so groß wie der Zwergwal und steht in der Regel auch nicht auf der Speisekarte des Orcas.
Darüber hinaus lassen die Simulationen vermuten, dass Zwergwale Töne am besten hören, wenn diese direkt vor ihnen entstehen. Die Wale können demnach wahrscheinlich die Richtung von Geräuschen wahrnehmen und damit auch deren Quelle lokalisieren – zum Beispiel andere Wale oder entgegenkommende Schiffe.
Der Mensch ist zu laut
Viele Wale kommunizieren untereinander mit niederfrequenten Tönen. Sie sind jedoch nicht die einzigen Riesen im Ozean, die derartige Geräusche aussenden: Auch Schiffsschrauben und andere menschliche Aktivitäten produzieren Geräusche im gleichen Frequenzbereich. Forscher befürchten, dass diese Lärmbelastung einen schädlichen Einfluss auf marine Organismen und das Ökosystem hat.
„Einigen Schätzungen zufolge hat sich der von Menschen gemachte Lärm in den Weltmeeren seit den letzten 50 Jahren in jedem Jahrzehnt verdoppelt“, sagt Cranford. „Es ist daher entscheidend, dass wir verstehen, wie marine Wirbeltiere niederfrequente Geräusche empfangen und verarbeiten.“ Erst dann könne man beurteilen, welchen Einfluss die Störgeräusche haben und wie effektiv Gegenmaßnahmen sind, so der Wissenschaftler. (Experimental Biology, 2018)
(Experimental Biology 2018, 24.04.2018 – YBR)