Auf frischer Tat ertappt: Zum ersten Mal haben Wissenschaftler live beobachtet, wie Korallenzellen ihre Symbiosepartner aufnehmen – die einzelligen Algen, ohne die viele Korallen nicht überleben können. Die Aufnahmen zeigen, wie die Korallenzellen fingerähnliche Pseudopodien ausstülpen, mit denen sie die Algen umschließen und sich einverleiben. Diese ersten Livebilder der Korallen-Endosymbiose liefern auch erste Hinweise darauf, wie diese Partnerschaft von Korallen und Algen einst entstand.
Die meisten tropischen Korallen leben in einer Symbiose: Sie bieten einzelligen Dinoflagellaten ein Refugium in ihrem Körper, dafür liefern die Photosynthese betreibenden Algen den Korallen Zucker und andere Nährstoffe. Erst diese Kooperation ermöglicht es den Steinkorallen, riesige Riffe zu bilden. Das Problem jedoch: Erwärmung und Wasserverschmutzung können die Korallen dazu bringen, ihre symbiontischen Algen auszuspucken. Als Folge bleichen die Korallen aus, sterben ab und ganze Riffe gehen zugrunde.
Das Geheimnis des Anfangs
Obwohl all dies lange bekannt ist, blieb ein entscheidender Schritt unklar: Wie die Korallen die für sie lebenswichtigen Symbionten aufnehmen und wie dies auf Zellebene abläuft. „Doch genau dieses Wissen ist entscheidend, um die Partnerschaft zwischen den Steinkorallen und ihre Algen vollständig zu verstehen“, erklärt Erstautor Kaz Kawamura von der Kochi Universität in Japan. Bisher scheiterte dies aber daran, dass Korallenzellen nur sehr schwer in Kultur zu züchten sind.
Doch im April 2021 gelang es Kawamura und seinen Kollegen, verschiedene Zelllinien von Larven der Steinkoralle Acropora tenius im Labor zu kultivieren. Dadurch wurde es erstmals möglich, das Verhalten der endodermalen Zellen näher zu untersuchen – der Zellen, die bei den Korallen die symbiontischen Algen aufnehmen. Um dies zu beobachten, gaben die Forscher Dinoflagellaten der Art Breviolum minutum zur Zellkultur dazu und filmten das Geschehen mithilfe von Mikroskopkameras.
Zelluläre „Fangarme“ in Aktion
Die Videos enthüllten: Die Korallenzellen reagieren fast sofort auf die Präsenz der Dinoflagellaten. „Schon fünf Minuten nach Zugabe der Einzeller konnten wir sehen, wie die Korallenzellen Pseuopodien entwickelten – fingerähnliche Ausstülpungen, mit denen sie die Algen umschlossen“, berichtet Koautor Nori Satoh vom Okinawa Institute of Science and Technology. „Das war wirklich beeindruckend zu beobachten!“
Nach dem Einfangen der Dinoflagellaten zogen die Korallenzellen ihre Pseudopodien wieder ein und beförderten damit auch die Algen in ihr Zellinneres. „Dieses phagozytotische Verhalten der Korallenzellen ist sehr dynamisch und die Aufnahme der Algen in die Zelle passiert sehr schnell“, berichten die Wissenschaftler. Im Schnitt nahmen die Zellen einen bis drei Dinoflagellaten auf. Nach wenigen Tagen waren 80 Prozent der Korallenzellen mit diesen Symbionten ausgestattet.
Hinweise auf den Ursprung der Symbiose
Interessant jedoch: Nicht immer überlebten die Dinoflagellaten dieses Verschlungenwerden. Von einem Teil dieser Algen fanden die Wissenschaftler nach einige Tagen nur noch Fragmente im Zytoplasma der Korallenzellen. Andere dagegen waren noch intakt und lebendig und waren teilweise in eine Vakuole transportiert worden – eine von einer schützenden Membran umhüllten Blase im Zellinneren.
Nach Ansicht der Forscher könnte dies ein Hinweis darauf sein, wie diese Endosymbiose vor Jahrmillionen begann: „Es könnte sein, dass die Urahnen der Korallen diese Algen ursprünglich als Nahrung aufnahmen“, erklärt Koautor Satoko Sekida von der Kochi Universität. Dafür spricht auch, dass die symbiotischen Algen bis heute vorwiegend in den Zellen des Verdauungstrakts der Korallen leben. „Im Laufe der Zeit entwickelten sich die Korallen weiter und begannen, die Algen stattdessen für die Photosynthese zu nutzen“ so Sekida.
Diese Verschiebung vom Fressen zur Symbiose ähnelt dabei dem Prozess, durch den auch alle eukaryotischen Zellen entstanden. Denn die Mitochondrien unserer Zellen und die Chloroplasten der Pflanzenzellen waren nach gängiger Theorie einst eigenständige Lebewesen, die von den Urahnen der Eukaryoten als Endosymbionten aufgenommen wurden. (Frontiers in Marine Science, 2021; doi: 10.3389/fmars.2021.706308)
Quelle: Frontiers, Okinawa Institute of Science and Technology (OIST) Graduate University