Nächtliches Gesangstalent: Biologen ist es erstmals gelungen, den Traum eines Singvogels mitzuhören. Dafür zeichneten sie die Aktivität seines Gehirns und seiner Kehlkopfmuskeln auf, während der gefiederte Proband schlief. Die nächtliche Muskelaktivität im Stimmapparat wandelten die Wissenschaftler dann in akustisch hörbare Töne um. So konnten sie einzigartige Einblicke in die Traumwelt des kleinen Vogels gewinnen. Und offenbar ging es darin besonders actionreich zu.
Wahrscheinlich träumen auch einige Tiere in ihrem Schlaf. Anzeichen dafür sind zum Beispiel Pfotenzucken oder leises Knurren. Was genau nachts in den Köpfen von Tieren vorgeht, ist zwar erst in Teilen erforscht. Doch Ratten wiederholen in ihren Träumen offenbar Labyrinth-Experimente, während Tauben typische Flugmanöver erleben. Darauf deuten zumindest die jeweiligen Hirnaktivitäten während der REM-Schlafphase hin: Sie zeigen ähnliche Muster wie das Fliegen beziehungsweise Labyrinth-Erkunden im Wachzustand.
Dem nächtlichen Gesang auf der Spur
Einen noch greifbareren Einblick in die Welt der Tierträume haben nun Biologen um Juan Döppler von der Universität Buenos Aires gewonnen. Ihnen ist es erstmals gelungen, den Traum eines Singvogels mitzuhören. Denn wie sich bereits in früheren Studien gezeigt hatte, trällern einige Vögel wahrscheinlich auch in ihren Träumen. Von außen ist das zwar nicht hörbar, doch ähnlich wie bei den Ratten und Tauben springen bei ihnen nachts jene Hirnbereiche an, die auch im Wachzustand für den Gesang verantwortlich sind.
Da allerdings noch weitgehend unerforscht ist, welche Hirnmuster für welche Gesangsstücke stehen, konnten Döppler und seine Kollegen aus der der Hirnaktivität allein nicht ableiten, was der Vogel – ein sogenannter Schwefelmaskentyrann (Pitangus sulphuratus) – in seinem Traum trällerte. Doch interessanterweise waren im Schlaf des Vogels nicht nur bestimmte Hirnbereiche besonders aktiv, sondern auch die Muskeln seines Stimmapparates.
Indem die Biologen die Aktivitätsmuster von Kehlkopf und Co. mit einem Elektromyographen (EMG) erfassten und in ein spezielles Modell einspeisten, konnten sie daraus schließlich einen synthetischen Gesang erzeugen. Dieser entsprach dann dem, was der Vogel wahrscheinlich in seinem Traum gesungen hatte.
Ein streitsüchtiger Traum
Das Ergebnis: Was Döppler und seine Kollegen hörten, waren keineswegs sanfte Balladen oder fröhliches Zwitschern, sondern gackernde Pfiffe wie aus einer Trillerpfeife. Im wachen Zustand nutzen Schwefelmaskentyrannen diese Lautabfolgen in territorialen Konfrontationen. Um ihre Konkurrenten einzuschüchtern, stellen die Singvögel zusätzlich zu ihrer vehementen Gesangsdarbietung auch einen Federkamm auf ihrem Kopf auf. Das war sogar auch bei dem schlafenden Testvogel im Labor der Fall.
So klang der Traum des Testvogels. © Gabriel Mindlin / CC-by 4.0
„Ich empfand großes Mitgefühl, als ich mir vorstellte, dass dieser einsame Vogel in seinem Traum einen Revierstreit nachspielt“, sagt Seniorautor Gabriel Mindlin, ebenfalls von der Universität Buenos Aires. „Wir haben mehr mit anderen Arten gemeinsam, als uns normalerweise bewusst ist.“
Traumforschung 2.0 hat gerade erst begonnen
In Zukunft möchte das Team mit der neuen Technologie noch viele weitere Tierträume untersuchen. „Wir sind daran interessiert, diese Synthesen, die in Echtzeit durchgeführt werden können, zu nutzen, um mit einem Vogel zu interagieren, während er träumt“, kündigt Mindlin an. „Und für Arten, die lernen, um Fragen über die Rolle des Schlafs beim Lernen zu beantworten.“ (Chaos, 2024; doi: 10.1063/5.0194301)
Quelle: American Institute of Physics (AIP)