Vom Virus manipuliert: Wie raffiniert Viren für ihre Übertragung sorgen, haben Forscher nun bei Honigbienen aufgedeckt. Demnach praktizieren die Bienen zwar innerhalb des Stocks ein Social Distancing gegenüber infizierten Artgenossen. Doch am Eingang zu einem fremden Bienenstock werden vom Virus befallene Arbeiterinnen sogar gefüttert statt abgewiesen. Das erleichtert es dem Virus, von einer Bienenkolonie zur nächsten überzuspringen.
Nicht nur wir Menschen werden von Viren geplagt – ähnliches gilt auch für Honigbienen. Sie leiden nicht nur unter der blutsaugenden Varroamilbe, dieser Parasit ist auch Überträger von mehreren Bienenviren. Unter diesen ist neben dem tödlichen Flügeldeformationsvirus auch das Israeli Acute Paralysis Virus (IAPV), das in den USA entscheidend zum Koloniesterben beigetragen haben könnte.
Wie reagieren Bienen auf infizierte Artgenossinnen?
Wie jedoch diese Viren von einem Bienenstock zum anderen gelangen und ob die Infektion das Verhalten infizierter Bienen beeinflusst, war bislang unbekannt. Dies haben nun Amy Geffre von der Iowa State University in Ames und ihre Kollegen näher untersucht. Dafür nutzten sie ein automatisiertes System, mit dem sie die Bewegungen und das Verhalten von mehr als 900 individuell markierten Honigbienen in drei Bienenstöcken kontinuierlich verfolgen und auswerten konnten.
Im ersten Experiment wollten die Forscher wissen, wie die Honigbienen innerhalb eines Stocks auf eine Virusinfektion und erkrankte Artgenossen reagieren. Dafür infizierten sie jeweils einige Koloniemitglieder mit IAPV. Zur Kontrolle verabreichten sie zudem einigen weiteren Bienen ein DNA-Fragment, das nur eine Immunreaktion ähnlich wie bei einer Infektion auslöst. Wie würden die Artgenossen dieser Bienen reagieren?
Kontaktvermeidung im Stock
Die Beobachtungen enthüllten: Die Honigbienen im Stock erkennen offenbar sofort, ob eine Artgenossin infiziert ist oder ihr Immunsystem auf Hochtouren läuft. Zwar wurden die betroffenen Bienen nach wie vor intensiv mit den Antennen abgetastet, aber die sogenannte Trophallaxis – die gegenseitige Fütterung mit flüssiger Nahrung – blieb weitgehend aus. Die Bienen praktizierten demnach eine Art „Social Distancing gegenüber den infizierten Artgenossinnen.
„Wir denken, dass diese Verringerung der Trophallaxis ein adaptiver sozialer Mechanismus ist, um eine Erreger-Übertragung durch physischen Kontakt im Bienenstock zu reduzieren“, sagen die Forscher. Dieses Social Distancing scheint nicht spezifisch für eine Infektion mit IAPV zu sein, sondern gilt offenbar generell gegenüber infizierten oder immunaktivierten Artgenossinnen – das belegte die gleiche Vermeidungsreaktion gegenüber den nur immunstimulierten Bienen.
Wächterbienen ausgetrickst
Doch so gut die Honigbienen innerhalb ihres Stocks gegenüber Infektionen gerüstet scheinen: Das IAPV-Virus hat noch einen Trick auf Lager, wie ein weiteres Experiment enthüllte. Bei diesem setzten die Forscher einige mit IAPV infizierte Arbeiterinnen vor das Einflugloch eines fremden Bienenstocks. Zur Kontrolle wiederholten sie dies auch mit gesunden Arbeiterinne und mit den immunstimulierten Bienen.
Das überraschende Ergebnis: Nur die gesunden und immunstimulierten Bienen wurden wie erwartet von den Wächterinnen als fremd erkannt und verjagt. Nicht aber die infizierten Arbeiterinnen: „Wir stellten fest, dass die mit IAPV infizierten Bienen signifikant weniger Aggression erlebten“, berichten die Forscher. „Gleichzeitig riefen diese Bienen bei den Wächtern mehr Grooming und Trophallaxis hervor.“ Offenbar erkannten die Wächterbienen diese Arbeiterinnen nicht als fremd und behandelten sie eher wie eine Stockgefährtin.
Manipulierter Geruch
Aber warum? „Irgendwie schaffen es die infizierten Bienen, die Abwehrreaktion der Wachen am fremden Stock zu umgehen“, sagt Co-Autor Adam Dolezal von der University of Illinois. „Irgendetwas an ihnen muss anders sein.“ Um herauszufinden, was dies ist, analysierten die Forscher die auf dem Panzer der Bienen vorhandenen Kohlenwasserstoffe – Duftstoffe, über die Honigbienen unter anderem die Stockzugehörigkeit und den Zustand ihrer Artgenossen erkennen.
Und tatsächlich: Bei acht dieser Verbindungen gab es auffallende Unterschiede. „Die Infektion resultierte in einem Molekül-Profil, das sich von dem der Kontrollen und der immunstimulierten Bienen unterschied“, berichten Geffre und ihr Team. „Das Virus verändert offenbar den Geruch der Bienen.“ Das könnte erklären, warum die Wächter am Stockeingang weniger aggressiv auf die infizierten Arbeiterinnen reagierten als auf gesunde Fremdlinge: Sie rochen weniger fremd.
Erhöhtes Risiko in vielen Imkereien
Das aber bedeutet: Das Bienenvirus hat seine Wirte so manipuliert, dass diese seine Verbreitung fördern. Zwar wird der Erreger innerhalb der Bienenstöcke durch Social Distancing ausgebremst, dafür aber kann er umso leichter auf neue Kolonien überspringen. „Für ein Virus ist es weit vorteilhafter, in eine neue Gruppe von Wirten übertragen zu werden“, erklärt Dolezal. „Und wie macht man das? Im Fall von IAPV erhöht man die Chance, dass eine infizierte Biene von Stock A Zugang zu Stock B erhält.“
Relevant ist diese Erkenntnis zum einen, weil sie ein weiteres Mal demonstriert, dass Erreger auch das Verhalten ihrer Wirte manipulieren können. Zum anderen deckt sie aber auch mögliches Problem bei der kommerziellen Bienenhaltung auf: „In modernen Imkereien sind die Bienenstöcke oft weniger als einen Meter voneinander entfernt“, erklären Geffre und ihre Kollegen. In manchen Obstanalgen stehen zur Blütezeit sogar hunderte von Stöcken. Diese Nähe kann die Übertragung gefährlicher Viren daher noch zusätzlich erleichtern. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2020; doi: 10.1073/pnas.2002268117)
Quelle: University of Illinois at Urbana-Champaign