Biologie

Spermien können doch nicht riechen

Forscher widerlegen Theorie vom lockenden Maiglöckchenduft

Wie menschliche Spermien die Eizelle finden, war lange Zeit umstritten. Eine neue Studie im „EMBO Journal“ hat nun gezeigt, dass die Spermien nicht – wie von einigen Forschern vermutet – Düfte wahrnehmen nehmen können, sondern von chemischen „Wegweisern“ im Eileiter angelockt werden.

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Spermien haben einen weiten Weg vor sich, um die Eizelle zu finden; nur wenige der Millionen von Spermien erreichen ihr Ziel. Die Eizelle unterstützt die Spermien bei ihrer Suche, indem sie „chemische Wegweiser“, sogenannte Lockstoffe, aussendet. Dieses raffinierte System hat man erstmalig bei Seeigeln entdeckt und herausgefunden, dass Lockstoffe die Schwimmbewegung der Spermien steuern, indem sie deren Kalziumhaushalt verändern.

Das „Maiglöckchen-Phänomen“

Das Anlocken der Spermien bezeichnet man als „Chemotaxis“. Anders als bei Seeigeln, die Spermien und Eizellen ins Seewasser abgeben, lassen sich die Bedingungen im engen Eileiter des Menschen nur schwer experimentell nachstellen.

Forscher veröffentlichten verschiedene Konzepte, wie menschliche Spermien die Eizelle aufspüren. Eines dieser Modelle ist besonders faszinierend und einleuchtend zugleich: Deutsche und amerikanische Wissenschaftler berichteten 2003 im Fachjournal „Science“, dass ein Bestandteil des Maiglöckchenduftes, genannt Bourgeonal, in den Kalziumhaushalt menschlicher Spermien eingreift und die Spermien anlockt.

Das „Maiglöckchen-Phänomen“ – so der Titel eines Buches über das Riechen – war geboren: Spermien als schwimmende Riechzellen, die einer „Duftfährte“ folgen, ausgelegt von der Eizelle. Allerdings blieb das Maiglöckchen-Phänomen nebulös, da weder Bourgeonal noch andere Duftstoffe im weiblichen Geschlechtsorgan identifiziert werden konnten.

Lockt Progesteron die Spermien an?

Eine konkurrierende Theorie schlägt vor, dass das weibliche Sexualhormon Progesteron – das von Kumuluszellen in der Nähe der Eizelle gebildet wird – die Spermien anlockt. Für die Progesteronwirkung sind sogenannte CatSper-Ionenkanäle – cation channels of sperm – verantwortlich. Die CatSper-Kanäle, die sich ausschließlich in Spermien befinden, sind unverzichtbar für die Fortpflanzung: Männer, die einen Gendefekt für CatSper tragen, sind unfruchtbar.

In einer „Nature“-Studie konnten Wissenschaftler vom Bonner Forschungszentrum caesar im Jahr 2011 zeigen, dass Progesteron die CatSper-Kanäle direkt öffnet, wodurch Kalzium in die Spermien-Zelle strömt.

Maiglöckchenduft imitiert Hormonwirkung

In einer aktuellen Untersuchung zeigen die Bonner Forscher nun zusammen mit Wissenschaftlern des Forschungszentrums Jülich, dass der Maiglöckchenduft die Progesteronwirkung auf Spermien imitiert: Bourgeonal öffnet die CatSper-Kanäle ebenfalls direkt – ohne Umweg über Duftstoffrezeptoren und komplizierte biochemische Signalwege, wie man sie in Riechzellen findet.

Allerdings wirken die Duftstoffe erst bei mehr als 1.000fach höheren Konzentrationen als Progesteron. Das Fazit der Forscher: Duftstoffe wirken nur bei einer Überdosis. Das „Maiglöckchen-Phänomen“ beruht also auf einem Labor-Artefakt: einen Riech-Signalweg gibt es nicht in Spermien.

Spermien folgen „chemischen Wegweisern“

Diese Ergebnisse lieferten den Spermienforschern wichtige neue Erkenntnisse. Warum sind die CatSper-Kanäle so wenig wählerisch und reagieren sogar auf Menthol, wenn die Konzentration nur hoch genug ist? Vermutlich ist den Wissenschaftlern zufolge die „pro-miskuitive“ Eigenschaft entscheidend für die Fortpflanzung. Die Spermien müssen sich auf ihrer beschwerlichen Reise zur Eizelle immer wieder anhand verschiedener „chemischer Wegweiser“ vergewissern, dass sie noch auf der richtigen Spur sind. Mit Hilfe der CatSper-Kanäle als vielseitige und empfindliche Sensoren können Spermien das chemische Milieu im Eileiter „auslesen“ und so die Eizelle aufspüren.

Die Bonner Forscher konzentrieren sich jetzt darauf, neben Progesteron weitere Lockstoffe im Eileiter zu identifizieren. Eines ist aber deutlich geworden: Duftstoffe sind es wohl nicht.

Auf dem Weg zur Pille für den Mann

Die neuen Erkenntnisse sind nach Angaben der Wissenschaftler auch medizinisch bedeutsam. Wenn es gelänge, die Wirkung weiblicher Faktoren auf die CatSper-Kanäle zu stören, könnte das zu einem neuartigen Verhütungsmittel – der Pille für den Mann – führen. Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg, so die Forscher. (The EMBO Journal, 2012; doi: 10.1038/emboj.2012.30.)

(caesar – center of advanced european studies and research, 27.02.2012 – DLO)

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