Von wegen genormte Masse: In den Nestern sozialer Spinnen gibt es keine Kasten oder starren Hierarchien. Stattdessen erfolgt die Arbeitsteilung wie bei uns Menschen: nach Persönlichkeit und Talent, wie Experimente von US-Forschern nun belegen. Aggressivere Spinnen übernehmen den Netzbau und die Beutejagd, sanftere Exemplare die Pflege des Nachwuchses, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ berichten.
Die meisten Spinnen sind strikte Einzelgänger, kommt ein Artgenossen ihnen und ihrem Netz nahe, wird er verjagt oder getötet. Doch einige Spinnenarten bilden eine Ausnahme: Soziale Spinnen bauen riesige Gemeinschaftsnetze, jagen zusammen und ziehen ihren Nachwuchs kollektiv groß. Diese Gemeinschaften der sozialen Spinnen sind den Staaten der Bienen, Ameisen oder Termiten in Manchem ähnlich – doch es gibt wichtige Unterschiede: So gibt es keine Spinnenkönigin, keine festgelegten Kasten und jedes Einzeltier ist im Notfall auch allein überlebensfähig.
Ist es eine Frage der Persönlichkeit?
Trotzdem praktizieren diese sozialen Spinnen eine klare Arbeitsteilung. Wie diese zustande kommt, war bisher jedoch unklar. Jonathan Pruitt von der University of Pittsburgh und seine Kollegen hatten allerdings an der sozialen Spinne Anelosimus studiosus schon vor einiger Zeit etwas Auffallendes beobachtet: In deren Gemeinschaften aus bis zu 100 Tieren gibt es klare Unterschiede in den Persönlichkeiten: Einige Spinnen sind eher aggressiv, andere dagegen sanft.
Die Vermutung der Forscher: Möglicherweise spielen diese charakterlichen Unterschiede auch eine Rolle dafür, welche Arbeitsteilung sich im Gemeinschaftsnetz ergibt. Um das zu überprüfen, führten die Wissenschaftler ein Experiment durch: Im Labor stellten sie Anelosimus-Spinne zu Mini-Nestern aus je vier Tieren zusammen, zwei Spinnen gehörten dabei jeweils zum sanften Typ, zwei zum aggressiven. Nun beobachteten die Forscher genau, welche Spinne in diesen Vierer-Gemeinschaften welche Aufgaben übernahm.
Arbeitsteilung nach Talent und Charakter
Die beiden aggressiven Spinnen widmeten sich in der Regel dem Netzbau, der Verteidigung des Nestes und der Jagd. Die beiden sanften Mitglieder des kleinen Spinnen-Clubs kümmerten sich hingegen meist um den Nachwuchs. Ob die Tiere dabei instinktiv auch ihrem Talent folgten, prüften die Wissenschaftler in einem weiteren Versuch, bei sie die Fähigkeiten jeder einzelnen Spinne in den verschiedenen Aufgaben testeten. Das Ergebnis: Die sanften Spinnen waren vergleichsweise schlechte Jägerinnen und Spinnerinnen, schafften es aber sehr gut, viele Jungtiere zu versorgen. Bei diesem Punkt haperte es hingegen bei den aggressiven Spinnen.
Die Spinnen folgen bei der Arbeitsteilung in der Gemeinschaft offenbar tatsächlich ihrem angeborenen Talent. In dieser Hinsicht sind die sozialen Spinnen uns Menschen demnach verblüffend ähnlich: Sie wählen den „beruf“, der ihnen am meisten liegt und der ihrer Persönlichkeit entgegen kommt. „Unsere Ergebnisse demonstrieren den bisher vielleicht klarsten Fall einer Verbindung zwischen der Fähigkeit des Individuums und seiner Spezialisierung auf eine Aufgabe“, konstatieren die Forscher. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2014; doi: 10.1073/pnas.1400850111
(PNAS, 17.06.2014 – NP/MVI)