Nicht nur als Falle: Manche Spinnen nutzen ihre Netze auch als akustische Antenne, um herannahende Beute oder Fressfeinde hören zu können. Möglich wird dies, weil die feinen Spinnenfäden auf Veränderungen des Luftdrucks durch Schallwellen reagieren. Webspinnen wie die auch bei uns heimische Kreuzspinne detektieren diese schwachen Bewegungen und nutzen dies als eine Art externes Trommelfell. Sie hören damit deutlich weiter als es allein durch ihre Sinneshaare möglich wäre.
Spinnenseide gehört zu den stärksten und belastbarsten Fasern in der Natur. Die feinen Fäden sind reißfester als Stahl, aber trotzdem flexibel. Spinnen weben diese Seidenfasern in feste, oft symmetrische Netze, in denen sich Insekten und andere Kleintiere beim Hineinfliegen oder -krabbeln verfangen.
Wie hören Kreuzspinnen?
Doch das Spinnennetz dient nicht nur dazu, potenzielle Beute festzuhalten: Ein Forschungsteam um Jian Zhou von der Binghamton University in den USA hat untersucht, wie Webspinnen hören – und welche Rolle ihr feines, radähnliches Netz dabei spielt. Bisher gingen Biologen davon aus, dass Spinnen vor allem ihre Sinneshaare am Körper zum Hören nutzen. Springspinnen können damit sogar noch Schallwellen aus mehreren Metern Entfernung auffangen.
Zhou und seine Kollegen nutzten für ihre Tests einen speziellen Ruheraum, in dem die Experimente nicht durch äußere Vibrationen oder Luftzüge gestört werden können und ließen die auch bei uns häufige Brückenkreuzspinne Larinoides sclopetarius in einem rechteckigen Rahmen ein Netz weben. Erste Tests bestätigten, dass die Spinne wie erwartet auf direkt aufs Netz übertragene mechanische Vibrationen reagierte.
Spinne reagiert auf Geräusche
Dann folgte der eigentliche Hörtest: Das Forschungsteam stellte einen Lautsprecher drei Meter entfernt vom Netz auf und produzierte damit Schallwellen, ohne direkte Vibrationen im Spinnennetz auszulösen. Das Ergebnis: Die Spinnen drehten sich als Reaktion auf Geräusche um, kauerten sich zusammen oder drückten sich flach auf ihre Webkonstruktion. Dieses Verhalten zeigen Spinnen sonst nur bei Vibrationen ihres Spinnennetzes, berichten die Forschenden.
Die Spinne konnte offenbar sogar die Quelle des Geräuschs lokalisieren: Sie drehte sich immer in die Richtung des Lautsprechers, wenn dieser bewegt wurde. Außerdem unterschied sich ihr Verhalten je nach Lautstärke der Geräusche. Bei eher leiseren Geräuschen kauerte sie sich zusammen, während bei lauteren Geräuschen auch Ausstrecken der Vorderbeine oder abruptes Umdrehen beobachtet wurde.
Spinnfäden schwingen mit dem Luftdruck
Aber wie schafft es die Brückenkreuzspinne, über diese Distanz Geräusche wahrzunehmen? Die Antwort ist bei der Spinnenseide zu finden, aus der das Netz der Spinne konstruiert ist: „Die einzelnen Fäden sind so dünn, dass sie im Wesentlichen mit der Luft mitschwingen und von den Luftmolekülen bewegt werden“, erklärt Seniorautor Ron Hoy von der Cornell University. Die Spinnenfäden reagieren demnach auf die vom Schall ausgelösten Luftdruckschwankungen.
Diese Veränderungen in ihrem Spinnennetz kann wiederum die Spinne mithilfe von Sinnesorganen an den Spitzen ihrer Beine erkennen. Auf diese Weise erfasst sie Geräusche in einem Bereich, der bis zu 10.000-mal größer ist als die Spinne selbst. „Damit konnten wir zeigen, dass das Gehör der Webspinne nicht durch ihren Körper begrenzt ist, sondern auf einen erweiterten Phänotyp ausgelagert wird – das selbstgewebte Spinnennetz“, berichten Zhou und sein Team.
Spinnennetz als externes Trommelfell
Das ausgelagerte Gehör ist dabei sogar höchst flexibel und kann nach Schäden innerhalb einer Stunde repariert werden: „Die Spinne ist in der Lage ihr ‚äußeres Trommelfell‘ je nach ihren Bedürfnissen funktionell anzupassen und regelmäßig zu regenerieren“, berichten die Forschenden. Es sei außerdem möglich, dass die Spinnen durch das Ducken und Strecken die Spannung der Seidenfäden ändern und damit verschiedene Frequenzen detektieren können, sagt Hoy. (Proceedings of the National Academy of Sciences; 2022, doi: 10.1073/pnas.2122789119)
Quelle: Cornell University