Starker Stress kann sich negativ auf geistige Leistungen wie Lernen und Erinnern auswirken. Das haben Wissenschaftler jetzt in Versuchen an Mäusen festgestellt. Diese lernten als Erwachsene schlechter, wenn sie als Jungtiere direkt nach der Geburt Stress ausgesetzt waren. Maßgeblich verantwortlich für die dauerhafte Schädigung des Lern- und Erinnerungsvermögens sei ein Hirnbotenstoff, berichten die Forscher im Fachmagazin „Journal of Neuroscience“. Dieses Peptid bewirke Änderungen bei Zellhaftungsmolekülen. Als Folge sei die Bildung und Plastizität von Synapsen in bestimmten Hirnbereichen beeinträchtigt, was die Kommunikation zwischen Nervenzellen behindere.
Während der Entwicklung haben hohe Mengen an Stresshormon dramatische Auswirkungen auf das Gehirn, da viele Nervenverbindungen erst nach der Geburt ausgebildet werden. Deshalb haben die Forscher des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München untersucht, welche Veränderungen das bei Stress ausgeschüttete Neuropeptid „Corticotropin-releasing Hormon“ (CRH) in dieser kritischen Entwicklungsphase im Gehirn von Mäusen auslöst. Dazu stressten sie Muttertiere und ihre Jungen, indem sie ihnen nicht ausreichend Nestmaterial zur Verfügung stellten. Mäuse, die so ab dem zweiten Tag nach ihrer Geburt für eine Woche aufwuchsen, zeigten im Erwachsenenalter deutlich schlechteres Lern- und Erinnerungsvermögen.
Mathias Schmidt und seine Kollegen sehen dies als Nachweis dafür, dass die Einbußen spezifisch durch die frühe nachgeburtliche Wirkung von CRH in der Hirnregion des Hippokampus ausgelöst werden – einem Lern- und Gedächtnisprozesse besonders wichtigem Gebiet. Werden genetisch veränderte Mäuse, die im Vorderhirn mehr CRH produzieren, unter diesen Bedingungen aufgezogen, lernen sie im späteren Leben schlechter. „Eine erhöhte CRH-Konzentration im Hippokampus kann also später Lerndefizite hervorrufen“, sagt Schmidt, Arbeitsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Psychiatrie. Gestresste Tiere, denen das Rezeptormolekül für CRH im Hippokampus fehlt und bei denen CRH dort nicht wirken kann, haben dagegen später keine Lernschwierigkeiten.
Dauerhafte Veränderungen im Gehirn beobachtet
Die Forscher konnten zahlreiche Veränderungen im Hirngewebe der erwachsenen Tiere identifizieren. So zeigen die Nervenzellen untereinander weniger Synapsen, außerdem ist die Plastizität dieser Synapsen verringert. Beides führt zu einer geringeren Kommunikation zwischen den Zellen und könnte die Lern- und Gedächtniseinbußen erklären. Der Rückgang an Synapsen beruht möglicherweise auf geringeren Mengen an Neurexin und Neuroligin in den Nervenzellen. Die beiden Zellhaftungsmoleküle binden sich gegenseitig und verknüpfen Nervenzellen miteinander. Sie sind somit für die Bildung und Stabilisation von Synapsen unabdingbar. „In den Synapsen kommen Neurexin und Neuroligin gemeinsam mit den Rezeptoren von CRH vor, möglicherweise beeinflusst eine direkte Interaktion der beiden Systeme die Synapsen“, vermutet Schmidt.
Als nächstes wollen die Wissenschaftler untersuchen, ob Hemmstoffe von CRH die durch Stress ausgelösten Vorgänge im Gehirn verhindern oder gar rückgängig machen können. „Dann könnten möglicherweise die bereits existierenden CRH-Antagonisten auch für die Behandlung frühkindlicher Traumata einsetzen werden“, sagt Schmidt.
(Max-Planck-Institut für Psychiatrie, 21.09.2011 – DLO)