Überraschende Entdeckung: In unserem Darm leben jede Menge stromproduzierende Bakterien – darunter sowohl Durchfallerreger als auch Nützlinge wie die Milchsäurebakterien. Die Keime können Elektronen an ihre Umgebung abgeben und so Energie erzeugen, wie nun eine Studie enthüllt. Dabei nutzen diese grampositiven Bakterien für den Elektronentransport einen zuvor unbekannten Mechanismus, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.
Die meisten Organismen erzeugen die in ihren Zellen nötige Energie durch Atmung: Um das energiereiche Molekül ATP zu produzieren, oxidieren sie Kohlenstoffverbindungen zu Kohlendioxid. Die dabei freiwerdenden Elektronen übertragen sie auf Sauerstoff. Doch einige Bakterien haben eine andere Strategie entwickelt: Weil sie unter anaeroben Bedingungen leben, nutzen sie statt Sauerstoff metallhaltige Mineralien in ihrer Umwelt als Elektronen-Akzeptoren.
Zellen geben Elektronen ab
Das Spannende daran: Diese elektrogenen Bakterien müssen dafür die Elektronen aus ihrem Zellinneren heraus nach außen transportierten – und erzeugen dadurch einen messbaren Strom. In biologischen Batterien wurden diese Mikroben schon dafür eingesetzt, Strom aus Abwasser oder aus Papier zu produzieren. Das Bakterium Geobacter sulfurreducens produziert sogar eigens für den Elektronenaustausch mit seiner Umgebung feine Proteinnetze, die so leitfähig sind wie Metall.
Bisher jedoch vermutete man solche elektrogenen Bakterien nur an eher exotischen Orten wie in Erzvorkommen, in metallreichen Sedimenten oder im Abwasser. Doch wie sich nun zeigt, kommen Elektromikroben sogar in unserem Körper vor – als Teil unserer Darmflora. Entdeckt haben dies Samuel Light von der University of California in Berkeley bei Versuchen mit dem Durchfallerreger Listeria monocytogenes.
Von Listeria bis Lactobacillus – überall Strom
Für ihr Experiment platzierten die Forscher Listeria-Keime in einer elektrochemischen Kammer. In dieser boten sie den Mikroben Nährsubstrat und eine Elektrode als Elektronenakzeptor an und beobachteten, was geschah. Es zeigte sich: „Die Listerien produzieren eine deutliche elektrische Spannung, vergleichbar mit anderen elektrochemisch aktiven Bakterien“, berichten Light und seine Kollegen. Bis zu 100.000 Elektronen pro Sekunde gab jede Zelle ab.
Und die Durchfallerreger sind nicht die einzigen: Als die Wissenschaftler auch andere Bewohner unseres Darms testeten, erwiesen sich überraschend viele von ihnen als ebenfalls elektrogen. Zu diesen gehören neben den pathogenen Keimen Clostridium perfringens, Enterococcus faecalis und Streptococcus dysgalactiae auch nützliche Vertreter unserer Darmflora wie die Milchsäurebakterien Lactobacillus und Lactococcus.
„Dass so viele mit uns Menschen eng interagierende Mikroben elektrogen sind, hätte man vorher nie gedacht“, sagt Lights Kollege Dan Portnoy. „Das könnte uns eine Menge darüber verraten, wie diese Keime uns infizieren oder aber unseren Darm gesund erhalten.“
Völlig neuer Mechanismus
Interessant jedoch: Nähere Analysen enthüllten, dass die Elektro-Bakterien in unserem Darm für ihren Elektronentransport einen völlig anderen Mechanismus nutzen als bisher von Geobacter und anderen elektrogenen Mikroben bekannt. Demnach reichen Listeria und Co ein Protein mit zwei Flavin-Bausteinen in ihrer Zellwand, um die Elektronen aus dem Zellinneren nach außen zu schleusen. Möglich wird dies, weil diese grampositiven Bakterien im Gegensatz zu ihren gramnegativen Gegenparts eine einfachere, nur einschichtige Zellwand besitzen.
„Wir glauben daher, dass die bisher bekannten mineralatmenden Bakterien den extrazellulären Elektronentransfer nutzen, weil er für ihr Überleben entscheidend ist“, erklärt Light. „Die neu identifizierten elektrogenen Bakterien aber tun es, weil es so einfach ist.“ Listeria, Lactobacillus und Co schalten wahrscheinlich auf Elektronenproduktion um, wenn in ihrer Umgebung der Sauerstoff knapp wird oder genügend Elektronenempfänger anwesend sind. Allerdings: Welche Moleküle den Elektrobakterien in unserem Darm als Elektronenempfänger dienen, ist bisher unbekannt.
„Ein echter Schock“
Klar scheint aber, dass solche mikrobiellen Stromproduzenten häufiger sein könnten als lange angenommen. „Die Gene, die wir bei den elektrogenen Bakterien identifiziert haben, sind in einer breiten Gruppe von Mikroorganismen präsent – und diese besetzen ganz unterschiedliche ökologische Nischen“, sagen die Forscher. Neben Vertretern der Darmflora sind demnach auch Mikroben in fermentierenden Substanzen häufig elektrogen.
„Es ist ein echter Schock darüber nachzudenken, dass die Mikroben in unserem Darm ein buchstäblich spannendes Leben führen“, schreiben Laty Cahoon und Nancy Freitag von der University of Illinois in einem begleitenden Kommentar. Das eröffne ganz neue Perspektiven – auch für den Einsatz solcher Elektrobakterien als Stromproduzenten. (Nature, 2018; doi: 10.1038/s41586-018-0498-z)
(University of California – Berkeley, 13.09.2018 – NPO)