Zuckersüße Wissenschaft: Forschende haben herausgefunden, dass süßer Geschmack uns zu sozialerem Verhalten anleitet. Versuchsteilnehmer, die Zuckerwasser getrunken hatten, waren spendabler, wenn es darum ging, Geld zwischen sich und einer weiteren Person aufzuteilen. Der Grund: Der süße Geschmack beeinflusst ein spezielles Hirnareal und steuert so unsere Entscheidungen, wie die Forschenden erklären. Warum die Süße ausgerechnet einen sozialen Effekt hat, ist allerdings noch unklar.
„Mein Verlobter ist zuckersüß. Er schenkt mir jede Woche Blumen“, „Das ist ja ein süßer Hund!“, „Endlich Wochenende, süße Freiheit“. Im Deutschen bezeichnet „süß“ längst nicht nur eine zuckrige Geschmacksrichtung, sondern kommt auch bei vielerlei positiven bis romantischen Redewendungen zum Einsatz. Zufall? Tatsächlich gehört der Geschmackssinn zu den ersten Sinnen, über die wir verfügen. Schon wenige Wochen alte Embryos zeigen erste Geschmacksknospen. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Geschmackserfahrungen auch unser Denken und Verhalten beeinflussen können.
Diktatoren in der Röhre
Offenbar kann Geschmack unser Verhalten auch gezielt zum Positiven steuern, wie Forschende um Michael Schaefer von der Medical School Berlin nun herausgefunden haben. In Experimenten testeten sie, ob und wie Geschmack unser Sozialverhalten beeinflusst. Dafür gaben sie den Versuchsteilnehmern süße, salzige und neutral schmeckende Flüssigkeiten und ließen sie danach jeweils das sogenannte Diktatorspiel spielen. Die Aufgabe: 15 Euro zwischen sich und einer anderen, unbekannten Person aufteilen.
Die Teilnehmer hatten dabei die Auswahl zwischen zwei Varianten, einer egoistischen und einer sozialen. Egoistisch sein bedeutete, dass die Teilnehmer selbst 7,80 Euro einkassierten und der zweiten Person 7,20 Euro überließen, sozial sein das genaue Gegenteil. Während die Probanden unter dem Einfluss der verschiedenen Geschmacksrichtungen Geld-Entscheidungen fällten, lagen sie in einem funktionellen Magnetresonanztomographen (fMRT), der ihre Hirnaktivität in Echtzeit überwachte.
Süß macht sozial
Das Ergebnis: Nach einem süßen Geschmackserlebnis entschieden sich die Versuchsteilnehmer häufiger für die soziale, spendable Variante, wie die Forschenden berichten. Umgekehrt führte der salzige Drink zu mehr egoistischen Entscheidungen, doch dieser Zusammenhang war nicht statistisch signifikant. Doch wie beeinflusst ausgerechnet die Süße unser Sozialverhalten?
Hier kommen die fMRT-Aufnahmen ins Spiel. Sie zeigen, dass der süße Geschmack in einem speziellen Hirnareal wirkt, dem anterioren cingulären Kortex. Dieser Hirnbereich kontrolliert Konflikte und Entscheidungen und hilft uns bei der Wahl zwischen sozialer oder egoistischer Reaktion. Da der anteriore cinguläre Kortex mit Hirnarealen für das Geschmacksempfinden verbunden ist, scheint der süße Geschmack die Geld-Entscheidungen auf diesem Weg beeinflusst zu haben, erklären die Wissenschaftler.
Umstrittenes Phänomen
Warum der süße Geschmack überhaupt im Kortex wirkt, bleibt jedoch vorerst unklar. Die Forschenden vermuten, dass Sprache eine wichtige Rolle spielen könnte. Der Begriff „süß“ weckt in uns schließlich die Assoziation zu romantischen, schönen Gefühlen und damit vielleicht auch zu sozialen Handlungen. Dass der Zucker die Probanden generell in gute Stimmung versetzt und daher spendabel gemacht hat, können die Wissenschaftler dank eines Kontrollexperimentes allerdings ausschließen.
Auch frühkindliche Erfahrungen könnten eine mögliche Ursache für die „Geschmacks-Hirn-Achse“ sein. Der süße Geschmack der Muttermilch könnte früh eine Verbindung zwischen Süße und sozialem Verhalten hergestellt haben. „Unsere Ergebnisse zeigen jedoch keine Aktivierung von Strukturen des medialen Temporallappens, die auf die Beteiligung von Gedächtnisprozessen hindeuten könnten“, schreiben die Wissenschaftler.
Was genau die Erkenntnisse für den Alltag bedeuten, kann das Forschungsteam ebenfalls noch nicht genau sagen. Ob der Chef eher eine Gehaltserhöhung springen lässt, wenn man zum Gespräch Schokolade mitbringt, ist also zunächst Gegenstand weiterer Forschung. (Scientific Reports, 2023; doi: 10.1038/s41598-023-28553-9)
Quelle: MSB Medical School Berlin – Hochschule für Gesundheit und Medizin