Genetik

Symmetriebruch schaltet X-Chromosom ab

Woher weiß die weibliche Zelle, dass es genau ein x-Chromosom abschalten muss?

Bei allen Frauen ist nur eines ihrer beiden X-Chromosomen aktiv, das andere bleibt ausgeschaltet. Was aber bestimmt, welches der beiden „stumm“ bleibt? Genau das könnten jetzt Wissenschaftler herausgefunden haben. In einem physikalischen Modell konnten sie eine spontane Ansammlung von Proteinen als den „Schuldigen“ dingfest machen.

In allen Säugetieren besitzen die Weibchen der Spezies zwei Versionen des X-Chromosoms während die Männchen nur eines plus ein Y-Chromsom besitzen. Um zu verhindern, dass X-Gene im Überschuss exprimiert werden, müssen die Zellen der Weibchen jeweils eines ihrer X-Chromosomen ausschalten. Dazu wickelt sich das inaktive Chromosom in einen Klumpen von RNA ein, den eines seiner Gene, genannt XIST, produziert. Diese RNA-Hülle löst dann letztlich die Inaktivierung aus.

Spontaner Symmetriebruch

Bis vor kurzem jedoch war es unbekannt, woher die Zelle überhaupt weiß, dass sie zwei X-Chromosomen besitzt und welches der beiden sie ausschalten soll. Auch wie sichergestellt wird, dass eines von beiden aktiv bleibt, wusste man nicht. Experimente an Mäusen haben gezeigt, dass während der frühen Entwicklung des Embryos jede Zelle eine 50:50 Chance hat, entweder eines oder das andere X-Chromosom auszuschalten. Es gab auch die Vermutung, dass Proteine sich an eine bestimmte Stelle des Chromosoms anlagern und damit das „Selbstmord-Gen“ XIST blockieren. Aber die Frage bleibt: Warum erfolgt dann diese Anlagerung nur an einem Chromosom, nicht an beiden.

Physiker sprechen bei einem solchen Phänomen von einem spontanen Symmetriebruch. Jetzt haben Forscher um Mario Nicodemi von der Universität von Neapel ein statistisch-mechanisches Modell vorgelegt, dass diese asymmetrische Aggregation erklären könnte. Wie sie in der Fachzeitschrift „Physical Review Letters” berichten, basiert ihr Modell auf einer Schlüsselentdeckung des letzten Jahres: Wissenschaftler hatten festgestellt, dass sich die beiden X-Chromosomen unmittelbar vor dem Ausschalten eines der beiden in der Zelle Seite an Seite ausrichten.

Proteinkomplex entsteht nur einmal

Die Physiker ermittelten nun den kritischen Wert für die Bindungsenergien des Proteinkomplexes, die Schwelle, ab der überhaupt eine Anlagerung an ein Chromosom erfolgt. Dann nahmen sie die räumliche Ausrichtung der Chromosomen mit in die Berechnungen mit auf. Es zeigte sich, dass es eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit gibt, dass sich nur ein Proteinaggregat in der Nähe der beiden Chromosomen bildet. Dieses bindet schnell an eines der beiden, blockiert das XIST-Gen und schützt damit das X vor dem „Selbstmord“. Da sich unter den spezifischen Umständen des Zellstoffwechsels nur ein Proteinkomplex bildet, ist dieser damit „verbraucht“ und das andere X-Chromosom bleibt sich selbst und damit seiner Inaktivierung überlassen.

Das Modell erklärt auch, wie die Zelle feststellt, ob sie eines oder zwei X-Chromosomen besitzt: Nämlich gar nicht. Sie produziert einfach in jedem Falle den Proteinkomplex. Bei Männchen allerdings hätte er ohnehin nur ein X-Chromosom zum Binden, so dass dieses geschieht und damit das Chromosom vor dem „Selbstmord“ bewahrt bleibt. Ein ähnlicher Mechanismus könnte, so die Forscher, auch bei den übringen 22 Chromosomenpaaren dafür sorgen, dass nur jeweils eine Genvariante eines Paares ausgelesen wird.

(American Institute of Physics, 02.03.2007 – NPO)

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