Gefiederte Fachärzte: Tauben können lernen, Krebstumore in menschlichen Gewebeschnitten oder Mammografie-Aufnahmen zu identifizieren – und das schon nach wenigen Tagen Training. Das belegt, dass diese Vögel nicht nur ein hervorragendes Bildgedächtnis besitzen, sie können auch Ähnliches kategorisieren. Interessanterweise haben sie einigen Fällen die gleichen Schwierigkeiten wie menschliche Radiologen, wie Forscher im Fachmagazin „PLOS ONE“ berichten.
Das Gehirn der Taube ist zwar nur so groß wie die Spitze unseres Zeigefingers, aber ihr winziges Denkorgan vollbringt erstaunliche Leistungen. So können Tauben genauso gut zählen wie Affen und dabei sogar abstrakte Zahlenregeln befolgen. Ebenso beeindruckend ist auch das visuelle Gedächtnis dieser Vögel: Sie können sich mehr als 1800 verschiedenen Bilder merken – damit hätte vermutlich selbst mancher Mensch Probleme.
Die Taube ist zudem ein ausgesprochen guter Beobachter: „Die Forschung der letzten 50 Jahre hat gezeigt, dass Tauben menschliche Gesichter und sogar deren Gefühlsausdrücke unterscheiden können“, erklärt Seniorautor Edward Wasserman von der University of Iowa. „Sie erkennen zudem Buchstaben des Alphabets, fehlgeformte Arzneikapseln und können sogar die Gemälde von Monet von einem Picasso unterscheiden.“
Tauben als Radiologen
Aber können die schlauen Vögel auch geschulten menschlichen Beobachtern das Wasser reichen? Um das herauszufinden, stellten Wassermann und seine Kollegen die Tauben vor eine hochspezialisierte medizinische Aufgabe: Die Vögel sollten lernen, bösartige Zellwucherungen in histologischen Präparaten von gesundem Gewebe zu unterscheiden. In dem farbigen Gewirr von Flecken und Formen etwas zu erkennen und die korrekte Diagnose zu stellen, kostet menschliche Radiologen und Pathologen Monate bis Jahre des Lernens und der Erfahrung.
Um die Tauben zu trainieren, zeigten die Forscher ihnen jeweils einen Gewebeschnitt mit oder ohne Tumor, den die Tauben durch Antippen einer von zwei Tasten zuordnen sollten. Trafen sie dabei die korrekte Wahl, erhielten sie eine Futterbelohnung. Im Laufe des Trainings erhöhten die Wissenschaftler dann den Schwierigkeitsgrad: Die Vögel mussten nun die Tumore auch in stärker vergrößerten Aufnahmen und in Schwarzweiß identifizieren.
Mehr als 80 Prozent Trefferquote
„Die Vögel waren bemerkenswert gut darin, zwischen gutartigen Wucherungen und bösartigem Brustkrebs zu unterscheiden – eine Aufgabe, die unerfahrene menschliche Betrachter verwirren kann“, berichtet Erstautor Richard Levenson von der University of California in Davis. „Die Treffsicherheit der Tauben erhöhte sich von anfangs 50 Prozent auf fast 85 Prozent – nach nur 13 bis 15 Tagen des Trainings.“
Dass die gefiederten Probanden sich nicht nur die einzelnen Bilder gemerkt hatten, belegte ein Test mit neuen, den Tauben unbekannten Gewebeschnitten. Auch dabei schnitten sie sehr gut ab: „Die Tauben konnten das, was sie gelernt hatten, generalisieren“, erklärt Levenson. „Dadurch gelang es ihnen, die ihnen unbekannten Aufnahmen korrekt zu identifizieren.“ Setzten die Forscher vier Vögel gleichzeitig an eine Aufnahme, dann lag deren kumulierte Trefferquote sogar bei 90 Prozent – das ist besser als mancher angehende Facharzt.
Mammografie ist auch für Tauben kniffliger
Damit nicht genug, testeten die Forscher die Tauben in einer weiteren diagnostischen Disziplin: der Mammografie. Die Vögel ernten, Aufnahmen von krebsbedingten Mikroverkalkungen oder von verdächtigen Verdichtungen im Brustgewebe von gesundem Gewebe zu unterscheiden. Bei den als kleine weiße Flecken sichtbaren Mikroverkalkungen erwiesen sich die Tauben als ähnlich gute Diagnostiker wie bei den Gewebeschnitten: Ihre Trefferquote lag zwischen 70 und 85 Prozent, wie die Forscher berichten.
Erheblich größere Probleme hatten die Tauben allerdings, gutartige und bösartige Verdichtungen in der Mammografie-Aufnahme zu unterscheiden. Sie benötigten statt weniger Tage mehrere Wochen, um die Trainingsbilder korrekt zuzuordnen. Bei unbekannten Aufnahmen versagten sie dagegen völlig. „Das zeigt, wie schwierig diese Aufgabe ist – selbst menschliche Experten scheitern hier häufig“, sagt Levenson. „Diese Aufgabe demonstriert damit, dass die Tauben ähnliche Schwächen und Stärken beim Erkennen und Interpretieren medizinischer Bilder haben wie wir Menschen.“ (PLOS ONE, 2015; doi: 10.1371/journal.pone.0141357)
(University of California – Davis Health System, 19.11.2015 – NPO)