Liebesspiel unter Vielbeinern: Forscher haben Tausendfüßer beim Sex beobachtet – und ganz genau hingeschaut. Ihre Aufnahmen des Geschlechtsakts enthüllen erstmals im Detail, wie die Genitalien von Männchen und Weibchen der Gattung Pseudopolydesmus miteinander interagieren. Dabei stellte sich auch heraus: Nach dem Sex versiegelt die Tausendfüßer-Dame ihre Vulven offenbar mit einem klebrigen Sekret – vielleicht schützt sie auf diese Weise das Sperma, so die Vermutung des Teams.
Ob Vorspiel-liebende Bärtierchen, der Unterwasserakt der Delfine oder Schneeaffen mit außergewöhnlichen erotischen Vorlieben: Die vielfältigen Geschlechtsorgane und Sexpraktiken im Tierreich versetzen Forscher immer wieder in Erstaunen. Sogar Männchen, die nach der Paarung die Genitalien ihrer Partnerin verstümmeln, und Arten, bei denen das weibliche Geschlecht den Penis besitzt, haben Biologen bereits entdeckt.
Gleichzeitig gibt es viele Tiere, die sich bisher noch nicht beim Liebesspiel haben beobachten lassen. Wie sie „es“ tun, ist daher weitestgehend ein Rätsel – das gilt auch für die Tausendfüßer. Diese vielbeinigen Arthropoden haben im Laufe der Evolution tausende Spezies hervorgebracht und jede von ihnen pflanzt sich wahrscheinlich auf ihre eigene Art und Weise fort, wie Xavier Zahnle von der University of California in Davis und seine Kollegen erklären.
Liebesspiel in der Petrischale
Um mehr über die Genitalien und Sexpraktiken der Tausendfüßer herauszufinden, hat sich das Wissenschaftlerteam nun Vertretern aus der Gattung Pseudopolydesmus gewidmet. „Das Problematische an Tausendfüßern ist, dass sie viele Dinge unter der Erde tun. Holt man sie raus, stört man sie und dann hören sie damit auf“, sagt Mitautorin Petra Sierwald vom Field Museum in Chicago. Nicht so Pseudopolydesmus-Tausendfüßer: „Diese Tiere haben sogar bei hellem Licht in der Petrischale Sex.“
Diese exhibitionistische Veranlagung kam den Forschern gerade recht: Sie beobachteten die Gliederfüßer bei der Fortpflanzung und machten eine Vielzahl von Fotos des Akts. Dabei nutzten sie unter anderem UV-Licht, weil die Geschlechtsorgane der Arthropoden unter dem Einfluss dieser Strahlung leuchten und die einzelnen Gewebe so besser zu unterscheiden sind. Untersuchungen mithilfe der Computertomografie (CT) lieferten zusätzliche Einblicke in die Struktur der Genitalien.
Ejakulation und Begattungsglieder getrennt
Die Aufnahmen der Tausendfüßer-Genitalien – sowohl einzeln als auch verbunden im Geschlechtsakt – enthüllen nun erstmals, wie der Sex bei der Gattung Pseudopolydesmus funktioniert. Konkret zeigte sich: Wie schon von anderen Tausendfüßern bekannt, sind die Hoden der Männchen nicht direkt mit den Begattungs-Extremitäten verbunden. „Das Männchen muss daher ejakulieren und seine sogenannte Gonopoden in das bläuliche Ejakulat tauchen“, berichtet Sierwald.
Für den eigentlichen Geschlechtsakt stülpt das Weibchen dann seine Vulva nach außen, wie die Wissenschaftler feststellten. „Sie verfügt über zwei Öffnungen zwischen ihrem zweiten Beinpaar“, sagt die Forscherin. Dringt das Männchen ein, verhakt es sich mit winzigen Zangen am Ende seiner Gonopoden in den weiblichen Genitalien. Gonopoden und Vulven passen dabei zueinander wie ein Schlüssel zum Schloss – nur so funktioniert der Begattungsakt, wie das Team vermutet.
Nach dem Sex versiegelt
Interessant auch: Nach dem Sex werden die Vulven mit einem klebrigen Sekret versiegelt und das Sperma im Körper des Weibchens eingeschlossen. Legt die Tausendfüßer-Dame später Eier, kommen diese auf dem Weg nach draußen mit den gespeicherten Spermien in Kontakt. Doch wer sorgt eigentlich für den Verschluss der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane?
„Vor der Studie dachte ich, dass das Sekret vom Männchen stammt, das mit dieser Methode verhindern will, dass sich das Weibchen noch einmal paart“, berichtet Sierwald. „Doch unsere CT-Aufnahmen haben Drüsen im Inneren der Vulven offenbart. Dies deutet darauf hin, dass ein Großteil des Sekrets vom Weibchen stammen könnte. Ob es damit seine Genitalien schützen will oder das Sperma, ist eine spannende Frage für weitere Forschung.“
Erst der Anfang
„Zum ersten Mal sehen wir, wie die weiblichen und männlichen Geschlechtsorgane der Tausendfüßer miteinander interagieren“, fassen die Forscher die Bedeutung ihrer Untersuchung zusammen. Doch ihre neuen Erkenntnisse sollen nicht nur dabei helfen, die Vorgänge beim Tausendfüßer-Sex besser zu verstehen.
Vergleiche mit anderen Tausendfüßer-Genitalien könnten in Zukunft auch dabei helfen, Verwandtschaftsverhältnisse unter diesen Gliederfüßern zu klären. Dafür sind jedoch erst weitere Studien nötig. „Pseudopolydesmus ist nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt weltweit allein 16 Ordnungen von Tausendfüßern – und bei den meisten haben wir nur eine vage Idee davon, wie zum Beispiel die Vulven der Weibchen aussehen“, schließt Sierwald. (Arthropod Structure and Development, 2020; doi: 10.1016/j.asd.2020.100913)
Quelle: Field Museum