Von wegen Terrorvogel: Bisher galt der zwei Meter große Riesenvogel Gastornis als rabiater Fleischfresser. Vor rund 50 Millionen Jahren machte er seiner Beute mit seinem gewaltigen Schnabel und scharfen Krallen den Garaus – so dachte man wenigstens. Doch deutsche Paläontologen lassen diese Vorstellung nun platzen: Denn der gefiederte Riese war nur ein harmloser Pflanzenfresser. Das geht aus chemischen Analysen fossiler Knochen von Gastornis hervor. Nur ein kleiner Restzweifel bleibt offenbar noch.
Gastornis und sein nordamerikanischer Vetter Diatryma schritten vor etwa 50 Millionen Jahren durch Europa und Nordamerika. Die flugunfähigen Vögel erreichten eine Höhe von bis zu zwei Metern und wogen Schätzungen zufolge etwa 100 Kilogramm. Wegen dieser Größe und des wuchtigen Schnabels gingen viele Wissenschaftler bislang davon aus, dass es sich um Raubvögel gehandelt hat, die den südamerikanischen Terrorvögeln (Phorusrhacidae) ähnelten, von denen die räuberische Lebensweise gut belegt ist.
Gefährlicher Top-Räuber seiner Zeit?
„Gastornis lebte, nachdem die Dinosaurier ausgestorben waren und damit in einer Zeit, als die Säugetiere noch relativ klein waren. Daher nahm man an, die massigen Vögel wären die Top-Räuber ihre Zeit gewesen“, sagt Thomas Tütken von der Universität Bonn. Doch es gab bereits Zweifel am aggressiven Image von Gastornis: US-Paläontologen hatten Fußabdrücke des amerikanischer Vertreters entdeckt, die keine Spuren von scharfen Krallen zeigten, wie es für einen Raubvogel zu erwarten gewesen wäre.
Außerdem hielten einige Wissenschaftler die Fleischfresser-Theorie generell für fragwürdig, da nicht plausibel erschien, wie ein so massives Tier schnell genug gewesen wäre, flinken Säugetieren erfolgreich nachzustellen. Tütken und seine Kollegen scheinen die Debatte allerdings nun endgültig zu beenden: Sie präsentierten das bisher stärkste Argument gegen die Fleischfresser-Theorie auf der Goldschmidt-Konferenz in Florenz.
Ihre Schlüsse basieren auf chemischen Analysen von Proben fossiler Knochen von Gastornis, die aus dem Geiseltal in Sachsen-Anhalt stammen. Denn die Verteilung der Kalzium-Isotope in versteinerten Knochen kann Hinweise darauf liefern, ob sich ein Lebewesen von tierischer oder pflanzlicher Kost ernährt hat: Je höher in der Nahrungskette das Gefressene steht, desto mehr leichtere Kalzium-Isotope enthält es. Diese Isotopenverteilung wird dann in Knochen und Zähnen des Fressenden eingelagert und bleibt damit als Spiegel seiner Ernährungsweise auch über die Jahrmillionen erhalten.
Gemüse statt Fleisch
Die Forscher analysierten für ihre Studie zunächst Fossilien von eindeutig entweder nur Pflanzen oder nur Fleisch fressenden Dinosauriern und Säugetieren und widmeten sich dann erst der Untersuchung der prominenten Riesenvögel. Das Ergebnis: Die Kalzium-Isotopen in den Gastornis- Knochen ähneln eher denen der pflanzenfressenden Säugetiere und Dinosaurier als denen der Fleischfresser. Das deutet nicht gerade darauf hin, dass dieser „Terrorvogel“ ein gefürchteter Jäger war.
Bevor die Debatte allerdings nun endgültig beendet wird, wollen die Forscher ihre Daten noch einmal mit Knochenanalysen anderer Tiere vergleichen, die von der gleichen Fundstätte stammen wie die Gastornis-Fossilien. Dadurch wollen sie ausschließen, dass das Profil der Kalzium-Isotopenzusammensetzung eine Folge der Lagerstätte ist. Sie sind sich allerdings jetzt schon recht sicher: Gastornis rammte seinen Riesenschnabel eher nicht ins Genick früher Säuger, sondern zerquetschte damit nur Pflanzenkost.
(European Association of Geochemistry, 30.08.2013 – MVI)