T-Lymphozyten spielen im Körper eine entscheidende Rolle und übernehmen bei der Immunabwehr viele Aufgaben. Ihre Reifung und Ausdifferenzierung findet in der so genannten Thymusdrüse oberhalb des Herzens statt. Max-Planck-Forschern ist es nun gelungen, entscheidende evolutionäre Schritte aufzuklären, die zur Ausbildung der Thymusdrüse führten.
Die Ergebnisse sind nach Angaben der Wissenschaftler um Thomas Boehm nicht nur stammesgeschichtlich interessant, sondern auch von medizinischer Bedeutung, da sie helfen, Aufbau und Funktion dieses wichtigen Organs besser zu verstehen. Fehlfunktionen des Thymus können zu schweren Immunerkrankungen führen, so die Forscher des Max-Planck-Instituts für Immunologie in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift „Cell“.
Unreife Lymphozyten auf Wanderschaft
Fast alle heute lebenden Wirbeltiere verfügen über ein adaptives Immunsystem, das den Körper gegen unerwünschte Eindringlinge wie Bakterien, Viren oder auch körpereigene entartete Zellen schützt. Eine zentrale Rolle dabei spielen die T-Lymphozyten (T-Zellen), die körperfremde Moleküle (Antigene) erkennen und eine gezielte Immunabwehr in Gang setzen. Die Vorläufer der T-Zellen stammen aus dem Knochenmark.
Von dort aus wandern die noch unreifen Lymphozyten in den Thymus, ein zentrales Organ des Immunsystems. Dort differenzieren sie sich zu einer Vielzahl von T-Zellen mit unterschiedlichen Aufgaben aus, bevor sie als reife Zellen in den gesamten Körper entlassen werden. Hier spüren sie Antigene auf. All dies wird durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Gene gesteuert. Über die Evolution dieses ausgeklügelten Systems war bisher allerdings wenig bekannt.
Chordatiere im Visier der Forscher
Einem Team um Boehm ist es nun gelungen, dies zu ändern: Der Thymus entstand danach auf der Basis alter genetischer Netzwerke. Um das herauszufinden, untersuchten die Wissenschaftler Chordatiere unterschiedlicher evolutionärer Entwicklungsstufen. Dazu gehören neben den Wirbeltieren unter anderem auch die Schädellosen – kleine fischförmige Tiere ohne knöchernen Schädel – deren heute noch lebende Vertreter die Lanzettfischchen sind.
Anhand vergleichender Genom- und Expressionsanalysen an Lanzettfischchen, Neunaugen und Haien entwickelten die Forscher Modelle und testeten sie an Knochenfischen. Auf diese Weise konnten sie die Evolution des Thymus rekonstruieren.
Transkriptionsfaktor Foxn1 entscheidend
Wie die Max-Planck-Wissenschaftler bereits vor einigen Jahren herausfanden, ist für die Ausbildung des Thymus der Transkriptionsfaktor Foxn1 entscheidend. Nun zeigte sich, dass das Foxn1-Gen innerhalb der Wirbeltiere zum ersten Mal bei Haien auftritt – zeitgleich mit einem anatomisch nachweisbaren Thymus. Die Entstehung des Organs lässt sich somit auf einen Zeitpunkt vor etwa 500 Millionen Jahren datieren.
„Erste Vorläufer des Foxn1-Gens treten aber schon bei stammesgeschichtlich älteren Chordatieren wie Lanzettfischchen und Neunaugen auf“, erklärt Boehm. Genprodukte ließen sich im Schlundgewebe nachweisen – eine Erklärung, warum sich der Thymus in dieser Region entwickelt hat.
Chemische Lockrufe
Voll ausdifferenzierte T-Lymphozyten finden sich in diesem Areal allerdings erst bei höheren Wirbeltieren. Die Wissenschaftler vermuteten deshalb, dass beim Übergang zu höheren Wirbeltieren zusätzliche genetische Faktoren hinzukamen, die Lymphozyten in diese Region „lockten“.
Vergleichenden Genomanalysen und funktionelle Untersuchungen erbrachten den Nachweis: Spezielle Chemokine, kleine Signalproteine, lösten die Wanderungsbewegung der Lymphozyten aus. Sie sind entscheidend für die Besiedlung der Region durch Lymphozyten – und somit für die Entwicklung von T-Zellen und Thymus.
Alte genetische Netzwerke als Grundlage
„Die Ergebnisse zeigen, wie auf der Grundlage alter genetischer Netzwerke ein neues Organ entstehen kann“, sagt Boehm. Die neuen Ergebnisse sind auch von medizinischer Bedeutung: „Die genetischen Grundlagen zu erforschen, die zur Evolution des Thymus führten, hilft uns, dieses wichtige Organ besser zu verstehen“, erklärt der Wissenschaftler.
Die Forscher hoffen daher, dass ihre Ergebnisse auf lange Sicht auch Patienten mit Immunerkrankungen zugute kommen, die an mangelnder Infektabwehr leiden.
(MPG, 26.06.2009 – DLO)