Verborgenes Paradies: Im Hochland von Tibet gab es einst ein Tal mit üppigem Pflanzenwuchs und feucht-warmem Klima – ein urzeitliches Shangri-La. Belege dafür liefern die Fossilien von mindestens 70 Pflanzenarten, die vor 47 Millionen Jahren in diesem Tal florierten. Damit könnte diese heute so karge Region ein Hotspot der Artenvielfalt gewesen sein. Einige der dort entdeckten Fossilien sind die ältesten aus Asien bekannten Vertreter ihrer Stammeslinien, wie die Forscher berichten.
Der Sage nach ist Shangri-La eine Art Paradies, das verborgen inmitten der unzugänglichen Himalayaregion liegt. Seine Faszination erhält diese Idee vor allem deshalb, weil das Hochland von Tibet und angrenzende Regionen auch schon früher eher karg und lebensfeindlich waren. Tibet war deshalb eine der letzten Regionen der Erde, die von Menschen besiedelt wurde. Noch heute tragen Tibeter zudem spezielle Gene in sich, die ihnen die Anpassung an die Höhenluft erleichtern.
Doch wann sich das Hochland von Tibet gebildet hat und wie sich dort Klima und Ökologie im Laufe der Erdgeschichte verändert haben, ist bislang unklar – auch, weil es kaum Fossilfunde aus dieser Region gibt.
Überraschend reichhaltige Vegetation
Jetzt wirft ein unerwartet reicher Fossilienfund ein ganz neues Licht auf das Tibet der Urzeit. Entdeckt haben ihn Tao Su vom Xishuangbanna Botanischen Garten in China und seine Kollegen in dem heute rund 4.850 Meter hochgelegenen Bangor-Becken in Zentraltibet. In einer Gesteinsformation nahe des Orts Jianglang stießen sie zu ihrer Überraschung auf die rund 47 Millionen Jahre alten Relikte einer üppigen Vegetation.
„Die Jianglang-Flora umfasst 70 verschiedene Pflanzenarten. Die zahlreich erhaltenen Blätter, Früchte, Samen, Blüten, Stängel und Wurzeln machen dies zur reichhaltigsten Flora, die auf dem Tibetplateau aus der gesamten Erdneuzeit entdeckt worden ist“, berichten die Forscher. Einige dieser Fossilien repräsentieren die ältesten Vertreter moderner asiatischer Pflanzenlinien, andere sind noch niemals im Hochland von Tibet gefunden worden.
Ein subtropisches Paradies
Ebenfalls überraschend: Die Vielfalt und Fülle der Fossilien belegen, dass in diesem Hochtal einst ein üppiger subtropischer Wald wuchs. Die Pflanzen gediehen in einem warm-feuchten Klima, das von reichlich saisonalem Monsunregen geprägt war. Die Jahresmitteltemperatur lag damals bei rund 19 Grad und auch im Winter sanken die Temperaturen wahrscheinlich nur sehr selten unter den Gefrierpunkt, wie Su und sein Team berichten.
Dadurch konnten Pflanzen in diesem Tal fast das ganze Jahr hindurch wachsen. Die Forscher bezeichnen ihren Fund daher auch als Shangri-La-Ökosystem – einen üppigen Garten Eden inmitten der vermeintlich kargen Bergwelt. „Unsere Entdeckung deutet darauf hin, dass Tibet damals ein bislang unerkanntes Zentrum der floralen Artenvielfalt war“, schreiben die Paläontologen. Die Biodiversität in diesem urzeitlichen Shangri-La sei vergleichbar mit modernen Hotspots der Artenvielfalt wie Südostasien.
Interessant auch: Acht Pflanzenarten aus dem Bangor-Becken waren zuvor schon aus gleichalten Ablagerungen der Grube Messel in Deutschland bekannt. Auch in den USA haben Paläontologen bereits ganz ähnliche Urzeit-Pflanzengemeinschaften gefunden. „Diese Übereinstimmungen sprechen für einen relativ ungehinderten Austausch von Pflanzenlinien auf der Nordhalbkugel jener Zeit“, erklären Su und seine Kollegen.
Nur 1.500 Meter über dem Meeresspiegel
Die Fossilien verraten auch etwas darüber, wie hoch dieses Shangri-La der Urzeit vor 47 Millionen Jahren lag. Demnach befand sich das geschützte, wie eine Badewanne geformte Tal damals nur rund 1.500 Meter über dem Meeresspiegel, was auch das milde Klima erklärt. „Unsere Ergebnisse belegen, dass Zentraltibet im Mittleren Eozän weder hoch noch trocken war, sondern eher tiefgelegen und feucht“, so Su und sein Team.
Allerdings hielten die günstigen Bedingungen nicht lange an: „Das Tal und sein Ökosystem blieben bis zum Miozän erhalten“, berichten die Forscher. Doch dann, vor rund 23 Millionen Jahren, begann sich dieses Gebiet wieder stark zu heben und erreichte bald seine heutige Hochlage. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2020; doi: 10.1073/pnas.2012647117)
Quelle: Chinese Academy of Sciences Headquarters