Überraschend viele Partner: Tiefseemuscheln, die in Symbiose mit Bakterien leben, beherbergen weitaus mehr dieser Untermieter als gedacht. Statt ein oder zwei wohnen bis zu 16 unterschiedliche Bakterienstämme in den Kiemen der Muscheln. Dank dieser Vielfalt an Symbiosepartnern sind die Weichtiere für alle Eventualitäten gewappnet und können sich zum Beispiel schnell an Umweltveränderungen anpassen, wie Forscher im Fachmagazin „Nature Microbiology“ berichten.
Symbiosen sind faszinierende Lebensgemeinschaften, von denen alle Beteiligten profitieren. Die klassischen Beispiele für eine solche Vergesellschaftung sind Flechten oder die zwischen Pilzen und Pflanzenwurzeln gebildeten Mykorrhiza. Doch die Natur hat im Laufe der Evolution noch viele weitere Symbiosen hervorgebracht – auch in der Tiefsee.
In der scheinbar lebensfeindlichen Umwelt von Schwarzen Rauchern gedeihen beispielsweise Muscheln mithilfe symbiotischer Partnerbakterien. Die Mikroorganismen leben in den Kiemen der Weichtiere und wandeln für ihre Muschelwirte nicht nutzbare Stoffe aus den heißen Quellen in schmackhafte Nahrung um.
Überraschend vielfältige Gemeinschaft
Um mehr über diese Lebensgemeinschaften am Meeresgrund zu erfahren, haben Rebecca Ansorge vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen und ihre Kollegen nun Bathymodiolus-Muscheln an Schwarzen Rauchern entlang des Mittelatlantischen Rückens gesammelt. Im Labor analysierten sie dann die Genome der bakteriellen Untermieter dieser Verwandten der essbaren Miesmuscheln.
Das überraschende Ergebnis: Die Muscheln vergesellschaften sich nicht nur mit ein oder zwei Symbiosepartnern. „Tatsächlich finden wir in einer einzigen Muschel bis zu 16 verschiedene Bakterienstämme“, berichtet Ansorge. Damit schnüren sich die Tiefseebewohner gewissermaßen ein Rundum-Sorglos Paket. Denn die einzelnen Bakterienstämme erfüllen jeweils unterschiedliche Funktionen.
Vorteil Wandlungsfähigkeit
„Verschiedene Symbionten können beispielsweise unterschiedliche Stoffe und Energiequellen aus dem Umgebungswasser nutzen und damit die Muscheln ernähren“, erklärt Ansorge. Andere wiederum seien besonders widerstandsfähig gegen Viren oder Parasiten. Für die Muschel hat dies einen entscheidenden Vorteil: „Wir vermuten, dass die große Vielfalt ihrer Untermieter die Muschel sehr wandlungsfähig macht“, sagt Mitautorin Jillian Petersen von der Universität Wien.
Wenn sich ihre Umwelt verändert, was in einem so dynamischen Lebensraum wie einem Schwarzen Raucher häufig passiert, kann sich die Muschel schnell anpassen. Jene Bakterienstämme, die unter den neuen Bedingungen besonders gut gewachsen sind, treten dann in den Vordergrund. Auch wenn die Muschel neue Lebensräume besiedeln möchte, ist sie mit ihrem Mosaik an Symbionten gut vorbereitet, wie die Wissenschaftler erklären.
Widerspruch zur gängigen Theorie
Auf den ersten Blick rätselhaft allerdings: „Eine solche Vielfalt an Symbionten passt nicht zu gängigen Evolutionstheorien, nach der so ähnliche Organismen wie diese symbiotischen Bakterien nicht nebeneinander existieren können“, sagt Ansorges Kollegin Nicole Dubilier. Warum das im Fall der Bathymodiolus-Muscheln trotzdem funktioniert, lässt sich durch eine Besonderheit dieser Tiefseesymbiose erklären.
Die Muschel revanchiert sich bei ihren Untermietern nämlich nicht, indem sie sie ernährt. Ihr Dienst besteht lediglich darin, dass die Bakterien nahe ihrer Futterquelle an den Schwarzen Rauchern leben können. Ihre Nahrung beziehen die Symbionten dann aus dem Umgebungswasser. „Dadurch kann es sich die Muschel erlauben, auch solche Bakterien zu beherbergen, die gerade nicht optimal arbeiten. Man weiß ja nie, wann sie noch nützlich werden“, konstatiert Dubilier.
Auch bei anderen Symbiosen typisch?
„Als nächstes wollen wir erforschen, ob diese Vielfalt auch in anderen Tiefseesymbiosen existiert, zum Beispiel in Schwämmen oder anderen Muscheln“, sagt Ansorge. Sie und ihre Kollegen vermuten, dass ihre Beobachtungen keine Ausnahme darstellen und eine hohe Vielfalt bakterieller Symbionten auch in anderen vergleichbaren Systemen üblich ist. Das würde bedeuten: Aktuelle evolutionäre Theorien über symbiotische Beziehungen müssen womöglich überarbeitet werden. (Nature Microbiology, 2019; doi: 10.1038/s41564-019-0572-9)
Quelle: Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie