Weniger Zufall, mehr Grammatik: Tierische Sprachen ähneln der menschlichen offenbar mehr als bisher angenommen. Zu diesem Ergebnis kommen US-Forscher anhand der Analyse verschiedenster tierischer Lautfolgen. Die Äußerungen der Tiere sind nicht größtenteils vom Zufall gesteuert, sondern folgen weitaus komplexeren statistischen Modellen, schreiben die Wissenschaftler im Magazin „Biological Sciences“. Auch für unser Wissen über die Evolution unserer eigenen Sprache sind die Ergebnisse bedeutend.
Ob singende Wale, pfeifende Murmeltiere oder zwitschernde Vögel: Viele Tiere produzieren komplexe Laute, um zu kommunizieren. Bei vielen Arten deuten die geäußerten Laute sprach-ähnliche Strukturen an. Dennoch ist es für Wissenschaftler schwierig, diese Tiersprachen zu enträtseln oder auch nur deren Struktur zu definieren. Gängigen Annahmen nach folgt die Struktur tierischer Sprache dem statistischen Markov-Prozess: Dabei hängt ein bestimmtes sprachliches Element, ein spezifischer Laut also, lediglich von einer relativ begrenzten Anzahl vorheriger Elemente ab. Die entstehende Lautfolge, eine Markov-Kette, basiert daher noch zum großen Teil auf der zufälligen Abfolge einzelner Laute.
Sprache: Unterschied zwischen Menschen und Tier
Ganz anders erscheinen dagegen die menschlichen Sprachen: Deren Abfolgen von Lauten sind von deutlich strikteren grammatischen Regeln geprägt. Wissenschaftler sprechen von „Kontext-freier Grammatik“, deren Regeln unabhängig vom Inhalt des Gesagten greifen. Die Sprache ist dadurch viel komplexer, weniger zufällig und wesentlich ausdrucksstärker als durch den Markov-Prozess.
Dieser sprachliche Unterschied galt lange als entscheidender Unterschied zwischen Mensch und Tier. „Sprache ist der größte Unterschied, der Menschen in der Evolution von den Tieren trennt“, sagt Arik Kershenbaum vom National Institute for Mathematical and Biological Synthesis im US-Bundesstaat Tennessee. Dieser Unterschied macht es schwer, die Entwicklung der menschlichen Sprache aus der tierischen nachzuvollziehen. Die Lücke schien zu groß, Bindeglieder scheint es nicht zu geben. Oder doch?
Bisheriges Modell reicht nicht als Grundlage
Wie sich jetzt zeigt, folgt offenbar eine ganze Reihe tierischer Lautäußerungen wesentlich komplizierteren Modellen als dem Markov-Prozess. Die Lautfolgen von so unterschiedlichen Tieren wie Meisen, Finken, Fledermäusen, Orang-Utans, Orcas Grindwalen und Klippschliefern haben Forscher um Arik Kershenbaum vom National Institute for Mathematical and Biological Synthesis im US-Bundesstaat Tennessee überprüft.
Mit mathematischen Analysen bestätigten sie zum ersten Mal, dass der Markov-Prozess allein als statistische Grundlage von Tiersprachen nicht ausreicht. Damit rückten die tierischen Sprachen ein großes Stück näher an die menschliche Sprachstruktur heran. Die Forscher vermuten daher, dass es tatsächlich Zwischenschritte auf dem Weg der Evolution von der einfachen tierischen Kommunikation bis hin zur kontextfreien Grammatik der menschlichen Sprache gibt.
„Mehr und mehr Studien finden Trittsteine, die diese Lücke überbrücken“, so Kershenbaum. „Die zugrundeliegenden Prozesse bei der Entstehung tierischer Lautfolgen könnte entscheidend für unser Verständnis vom Ursprung der Sprache sein.“ Diese Bindeglieder sind jedoch bisher nicht ausreichend erforscht.
(Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 2014; doi: 10.1098/rspb.2014.1370)
(National Institute for Mathematical and Biological Synthesis (NIMBioS), 20.08.2014 – AKR)