Geniale Erfindung der Natur: Der natürliche Klebstoff der Stummelfüßer bildet beim Kontakt mit Oberflächen zugfeste Fasern aus, die nach einer Weile wieder flüssig werden. Wie genau das funktioniert, ist bisher unklar, doch Wissenschaftler sind der Lösung des Rätsels nun einen großen Schritt nähergekommen. Offenbar spielen die im Kleber enthaltenen Nanokügelchen eine andere Rolle als bislang angenommen. Gelingt es, das Geheimnis des Klebstoffs zu knacken, könnten sich daraus neue wiederverwendbare Biomaterialien für Medizin und Industrie herstellen lassen.
In der Natur gibt es viele begabte Klebstoff-Mischer. Miesmuscheln und Seepocken haften selbst unter Wasser an allen erdenklichen Oberflächen, Bienen kleben Pollenpakete zusammen und die südafrikanische Taupflanze fängt Insekten mit gleich dreifacher Klebekraft. Dementsprechend verwundert es nicht, dass Ingenieure und Chemiker fieberhaft daran forschen, diese tierischen Superkleber nachzuahmen und für die Industrie zu nutzen.
Jagd mit der tierischen Klebepistole
Doch während die Kleber-Rezepte von Biene, Schnecke und Co. mittlerweile enträtselt sind, gibt es eine Gruppe klebriger Tiere, die ihr Geheimnis bislang für sich behalten hat: die Stummelfüßer. Sie werden bis zu 20 Zentimeter lang und sehen aus wie Würmer mit vielen stämmigen Beinchen. Die Tiergruppe kommt hauptsächlich auf der Südhalbkugel vor und setzt dort beim Beutefang auf eine ganz besondere Waffe.
Stummelfüßer erbeuten kleinere Insekten, indem sie aus zwei Drüsen am Kopf ein klebriges Sekret auf sie schießen. Das Tückische: Je mehr diese versuchen, sich wieder zu befreien, desto mehr verfangen sie sich im Kleber. Zieht man nämlich am Sekret, dann bilden sich darin augenblicklich zähe Fasern. Je mehr das gefangene Tier zappelt, desto fester werden diese. Nach einer Weile nimmt das Sekret wieder seinen flüssigen Urzustand an, doch für die Opfer des Stummelfüßers ist es dann schon zu spät.
Ein Jahrzehnt Antwortsuche
Wissenschaftler um Alexander Bär von der Universität Kassel versuchen seit über einem Jahrzehnt herauszufinden, wie genau der Superkleber der Stummelfüßer funktioniert. Im Jahr 2017 stellten sie folgende Vermutung auf: Im Schleim befinden sich winzige Nanokügelchen aus Proteinen und Fetten. Sobald sich ein Beutetier bewegt, zerreißen diese Kugeln. Die darin enthaltenen Proteine bilden in der Folge lange Fasern, die von Fett- und Wassermolekülen ummantelt werden. Das macht den Schleim fest, so die damalige Hypothese.
Doch weitere Untersuchungen rücken die Funktion der Nanokügelchen nun in ein neues Licht. Um mehr über die Funktionsweise des Sekrets herauszufinden, haben die Wissenschaftler die Substanz mit Neutronenstrahlen und Ultraschall untersucht. Dadurch konnten sie ermitteln, wie der Schleim wirklich aufgebaut ist und wie genau sich die Fadenbildung aktivieren lässt.
Nanokugeln funktionieren anders als gedacht
Das Ergebnis: Anders als erwartet stecken nicht einmal zehn Prozent aller Schleim-Proteine in den Nanokügelchen. Der Großteil schwimmt stattdessen frei im Sekret, wie die Analysen ergaben. Gleichzeitig enthüllten die Experimente, dass die Nanokügelchen den Großteil aller Fette beherbergen. „Die Funktion der Nanokügelchen muss also grundlegend überdacht werden“, sagt Bär.
Die überarbeitete Theorie besagt nun, dass die Nanokügelchen nicht als Proteinlager fungieren, sondern als Anlagerungspunkte. Fängt ein Beutetier an zu zappeln, dann sammeln sich die frei schwimmenden Proteine an den Nanokugeln und werden dort zu zugfesten Fasern. Wahrscheinlich braucht es dafür außerdem mehr als nur eine mechanische Einwirkung, wie sie etwa das zappelnde Beutetier erzeugt. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass auch die austrocknende Wirkung der Umgebungsluft einen Anteil an der Fadenbildung hat.
Diese Erkenntnisse bringen Bär und sein Team näher an die finale Lösung des Stummelfüßer-Rätsels. In Zukunft können sie die Substanz wahrscheinlich sogar nachahmen und so wiederverwendbare, naturverträglich Klebstoffe herstellen, die etwa in der Medizin oder in der Industrie von großem Nutzen sein werden. (Small, 2023; doi: 10.1002/smll.202300516)
Quelle: Universität Kassel