Mysteriöse Marschformation: In Marokko haben Paläontologen Dutzende von Trilobiten entdeckt, die säuberliche Reihen bilden. Wie im Gänsemarsch folgt dabei ein Tier dem anderen in fast gerader Linie. Schon vor rund 480 Millionen Jahren könnten diese Trilobiten demnach ein bei heutigen Arthropoden häufiges kollektives Verhalten gezeigt haben. Warum diese Urzeitwesen allerdings solche Schlangen bildeten, ist noch rätselhaft.
Prozessionsspinner tun es, Langusten und auch Wanderheuschrecken: Viele Tiere bilden zur Paarungszeit oder Wanderung große Gruppen oder sogar säuberlichen Reihen. Auch von urzeitlichen Trilobiten sind solche Ansammlungen bekannt. Wissenschaftler vermuten, dass diese Tiere sich zur gemeinsamen Häutung versammelten. Andere Fossilfunde schienen dagegen eher auf Fraßgemeinschaften hinzudeuten.
Das Problem jedoch: Oft konnten Forscher nicht eindeutig klären, ob es sich um echtes kollektives Verhalten handelte oder ob diese Tiere erst nach ihrem Tod zu solchen Ansammlungen zusammengespült wurden. „Vielen dieser dokumentierten Fälle von linearen oder multidirektionalen Clustern fehlen für die Interpretation wichtige Informationen“, erklären Jean Vannier von Universität von Lyon und seine Kollegen.
Versteinerte Trilobiten-Prozessionen
Anders bei dem neuen Fund: Bei Ausgrabungen im Südosten Marokkos haben Vannier und sein Team mehrere Gruppen auffällig linear angeordneter Trilobiten aus der Zeit vor 480 Millionen Jahren entdeckt. Die urzeitlichen Arthropoden bilden Reihen von drei bis 22 Tieren, die wie im Gänsemarsch hintereinander herzulaufen scheinen. „Der Abstand zwischen den einzelnen Individuen ist relativ kurz“, berichten Vannier und seine Kollegen. „Häufig sind die Tiere über ihre langen Stacheln in direktem Kontakt miteinander.“
Auffällig auch: Die Trilobiten gehalten fast alle zur Spezies Ampyx priscus. Diese 16 bis 22 Millimeter langen Trilobiten besaßen einen kräftigem Kopfstachel und zwei lange, nach hinten gebogene Seitenstachel am Panzer. Wie die Fossilfunde enthüllen, ordneten sich diese Tiere überraschend präzise in einer Richtung und zu kaum gebogenen, fast geraden Reihen an – obwohl diese Trilobiten blind waren.
Indizien für kollektives Verhalten
Aber warum? Sind die Trilobiten damals absichtlich im Gänsemarsch gekrabbelt oder war dies eher Zufall? Nach Angaben der Forscher sprechen mehrere Indizien gegen eine zufällige oder postmortale Ansammlung: Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich die Tiere in unterirdischen Gängen befanden, wodurch sie zwangsläufig in Reihe laufen würden. Auch Rinnen im Meeresgrund fehlen, in die das Meer die Trilobiten nach ihrem Tod hineingespült haben könnte.
Stattdessen deutet einiges darauf hin, dass die Trilobiten diese Schlangen absichtlich und zu einem bestimmten Zweck bildeten – sie zeigten ein echtes kollektives Verhalten. „Wir gehen davon aus, dass diese linearen Ansammlungen von Ampyx priscus durch die koordinierte Bewegung der Einzeltiere gebildet wurden“, sagen Vannier und sein Team. „Das deutet auf ein kollektives und synchronisiertes Verhalten hin.“
Fortpflanzung oder Schutz vor Bedrohungen?
Was aber war der Zweck? Eine mögliche Erklärung wäre die Fortpflanzung: „Ampyx könnte ähnlich wie heute die Pfeilschwanzkrebse während der Paarungszeit gruppenweise zu fernen Laichplätzen gewandert sein“, erklären die Forscher. Dafür spreche, dass fast alle Trilobiten in diesen Reihen geschlechtsreife Tiere waren. Auslöser für dieses Verhalten könnten dann Pheromone gewesen sein – chemische Signale, die die Tiere zur Schlangenbildung animierten.
Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Trilobiten auf Umweltstress reagierten – beispielsweise auf Wasserturbulenzen durch einen starken Sturm. „Das Laufen in Schlangen verringert den hydrodynamischen Sog und spart so Energie“, erklären Vannier und seine Kollegen. Der Gänsemarsch könnte den Tieren aber auch Schutz gegen ihren Fressfeinden geboten haben. Denn diese Tierreihen verwirren Prädatoren und verringern so das Risiko eines Angriffs.
Verhalten mit tiefen Wurzeln
„Die Ampyx-Fossilien belegen, dass das kollektive Verhalten bei Arthropoden sehr tiefe Wurzeln hat, die bis in das frühe Erdaltertum zurückreichen“, konstatieren die Forscher. Schon die frühen Gliedertiere waren demnach weit genug entwickelt, um die für dieses Verhalten nötigen Sinnesleistungen zu besitzen und untereinander zu kommunizieren. (Scientific Reports, 2019; doi: 10.1038/s41598-019-51012-3)
Quelle: Scientific Reports, CNRS