Je nachdem, wie häufig ein Protein gebraucht wird, aktiviert die Zelle seine genetische Bauanleitung direkt, oder aber indirekt durch Hemmung eines Repressor-Gens. Dieses „use-it-or-lose-it“-Prinzip galt bisher als einzige Basis der Genregulation. Doch jetzt haben Forscher ein weiteres Prinzip entdeckt: „wear-and-tear“.
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Auch bei Mikroben dreht sich alles um Angebot und Nachfrage – wenigstens auf genetischer Ebene. Denn nicht jedes ihrer Genprodukte wird immer benötigt. Die meisten ihrer „Bauanleitungen“ werden daher, wie bei höheren Organismen auch, erst bei Bedarf aktiv. Im einfachsten Fall aktiviert dann ein Transkriptionsfaktor das betreffende Gen. Etwas komplexer regulierte Anlagen werden dagegen von einem Repressor inaktiv gehalten, der sich erst bei Bedarf ablöst. Nach dem „use-it-or-lose-it“-Prinzip bilden sich diese zwei Regulationsmechanismen abhängig von der Nachfrage aus: Sind Anlagen häufig aktiv, werden sie in der Regel direkt induziert. Gene für selten gebrauchte Proteine werden dagegen eher durch Repressoren inaktiv gehalten.
Laktase als Beispiel für „use-it-or-lose-it“-Aktivierung
So ist etwa bekannt, dass das Darmbakterium Escherichia coli im Verdauungstrakt von jungen Säugern den in der Muttermilch reichlich enthaltenen Milchzucker Laktose zerlegen kann. Dazu produziert das Bakterium das Enzym Laktase – allerdings nur, wenn auch tatsächlich Laktose vorhanden ist. Die meiste Zeit aber fehlt der Milchzucker. Dann ist das Gen mit der Bauanleitung für das Laktase-Enzym von einem Repressor blockiert. Andere Gene aber kommen ohne Repressor als Regulator aus: Sie werden direkt durch einen Transkriptionsfaktor aktiviert, der an sie bindet. Dies sind nur zwei einfache Beispiele für Mechanismen, die die Genaktivität regulieren. Funktional sind sie gleichwertig.
„Schon früh stellte sich die Frage, ob die Entscheidung für einen der beiden Mechanismen von der Natur nur zufällig getroffen wird oder ob bestimmte Kriterien eine Rolle spielen“, erklärt der Physiker Ulrich Gerland von der Universität München. „Studien haben gezeigt, dass die Nachfrage nach dem Genprodukt ein entscheidender Faktor ist: Direkt aktiviert werden meist Gene, deren Proteine die meiste Zeit benötigt werden. Proteine wie die Laktase aber, die nur manchmal zum Einsatz kommen, gehören häufig zu den genetischen Anlagen, die nur bei Bedarf von ihrem Repressor freigegeben werden.“
Simulation enthüllt zweites Prinzip in der Regulation
Gerland und sein Kollege Professor Terence Hwa von der University of California haben nun jedoch mit Hilfe von Computersimulationen und theoretischen Analysen nachgewiesen, dass ein weiteres – und zwar entgegengesetzt wirkendes – Prinzip ebenfalls zum Tragen kommt: „wear-and-tear“. Danach kann auch eine direkte Aktivierung zu schädlichen Veränderungen führen.
„Unsere Ergebnisse zeigen klar, dass beide Prinzipien gültig sind, obwohl sie einander eigentlich widersprechen“, meint Gerland. „In diesem Spannungsfeld zwischen maximalem und minimalem Einsatz der Regulatoren kommen tatsächlich andere Kriterien zum Tragen: die Populationsgröße und die Zeitspanne, über die sich Veränderungen in der Umwelt hinziehen.“
„Welches der beiden Prinzipien sich jeweils durchsetzt, hängt aber von evolutiv wirksamen Kriterien wie der Populationsgröße und von den Zeitspannen ab, in denen Umweltveränderungen auftreten“, so der Forscher. „Unsere Studie könnte sich als guter Ausgangspunkt für detaillierte Entwicklungsmodelle regulatorischer Systeme erweisen.“ Die Studie ist in der „Early Edition“ der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences“ erschienen.
“Wear-and-tear“ häufiger bei großen Populationen
So verläuft die genetische Regulation nach dem „use-it-or-lose- it“-Prinzip in kleinen Populationen, die sich in einer nur langsam verändernden Umwelt befinden. Im umgekehrten Fall aber kommt eher „wear-and-tear“ mit minimalem Einsatz der Proteine zum Tragen. „Die Evolution regulatorischer Systeme ist noch kaum verstanden“, berichtet Gerland. „Es fehlte bislang auch noch weitgehend an passenden theoretischen Modellen. Jetzt aber könnte sich die zeitabhängige Selektion wie in unserem Beispiel als wichtiger Faktor in der regulatorischen Entwicklung erweisen. Viele Fragen sind noch offen, und unsere Ergebnisse stoßen hoffentlich weitere Untersuchungen an.“
(Universität München, 27.05.2009 – NPO)