Antibabypille für Fische: Sogar entlegene Bergseen Europas sind schon mit hormonähnlich wirkenden Chemikalien belastet. Die dort lebenden Fische weisen erhöhte Werte von organischen Chlorverbindungen und Pestiziden auf, wie Forscher festgestellt haben. Als Folge sind die männlichen Fische bereits verweiblicht. Angesichts der nachgewiesenen Effekte solcher Chemikalien auch auf den Menschen sei dies eine ernste Warnung, so die Forscher im Fachmagazin „Scientific Reports“.
Über Emissionen, Abwässer, Pestizide oder Kunststoffzusätze gelangen immer mehr hormonähnlich wirkende Chemikalien in unsere Umwelt. Sogar in Babybeißringen oder Mineralwasser wurden solche endokrinen Disruptoren schon nachgewiesen. Das Problem dabei: Diese langlebigen und schwer abbaubaren Umweltchemikalien wirken wie das weibliche Sexualhormon Östrogen. Reichern sie sich im Körper an, verweiblichen männliche Tiere und werden unfruchtbar, viele dieser Substanzen können zudem Krebs auslösen.
Kontaminierte Bergseen
Sergio Jarque vom Institut für Umwelt- und Wasserforschung in Barcelona und seine Kollegen haben nun untersucht, wie stark inzwischen entlegene Gewässer Europas mit diesen Umwelthormonen belastet sind – und welche Folgen dies für die dort lebenden Fische hat. Dafür nahmen die Forscher Fischpopulationen in neun Hochgebirgs-Seen in Spanien, Polen und der Slowakei unter die Lupe. Diese Seen liegen zwischen 1.395 und 2.688 Meter hoch und sind meist weit entfernt von Städten, Äckern und andern Emissionsquellen.
Dennoch entdeckten die Forscher selbst an diesen Standorten klare Anzeichen für eine Kontamination: In Blut, Leber und Muskelgewebe der Fische fanden sie eine ganze Reihe von hormonähnlich wirkenden Chemikalien, darunter Hexachlorbenzol (HCB), das Pestizid Lindan, polychlorierte Biphenyle (PCB) und ein Abbauprodukt des Pestizids DDT. „Sogar in den abgelegensten Hochgebirgsseen in der Hohen Tatra sowie den Pyrenäen sind Fische demnach einer dauerhaften Belastung an Umweltchemikalien ausgesetzt“, sagt Koautor Reinhard Lackner von der Universität Innsbruck.
Antibabypille für Fische
„Wenn männliche Fische solche hormonaktiven Stoffe mit ihrer Nahrung aufnehmen, wirken diese als endokrine Disruptoren. Das heißt, die normalen, hormongesteuerten Abläufe im Körper werden gestört,“ sagt Lackner. „Sehr vereinfachend könnte man sagen, die männlichen Fische schlucken unfreiwillig die Antibabypille.“ Weibliche Fische besitzen dagegen von Natur aus höhere Östrogenkonzentrationen, daher macht sich die Wirkung der hormonähnliche Substanzen bei ihnen weniger stark bemerkbar.
„Äußerlich sieht man den feminisierten Männchen so gut wie nichts an“, berichtet Lackner. Aber bei näheren Analysen zeigte sich, dass die Fische erhöhte Mengen von Vitellogenin produzierten. Diese Verbindung ist ein Vorläufer des Eidotter-Proteins, das normalerweise nur bei geschlechtsreifen Weibchen vorkommt, wie die Forscher erklären. Je höher die in den Geweben der Fische gemessenen Hexachlorbenzol-Werte waren, desto mehr Vitellogenin produzierten die Fischmännchen.
Noch ist nach Einschätzungen der Forscher das Überleben der Fische in den untersuchten Bergseen nicht gefährdet. Trotz Verweiblichung findet offenbar noch eine Fortpflanzung statt. Auch der Verzehr solcher Fische gelte nach derzeitigem Wissensstand noch als unbedenklich.
„Eine ernste Warnung“
„Aber insgesamt ist das eine ernste Warnung“, betont Lackner. „Schließlich gilt das Hormonsystem von Vertebraten – zu denen auch die Fische zählen – jenem des Menschen als sehr ähnlich.“ Hinzu kommt, dass gerade organische Chlorverbindungen nicht nur als krebserregend, fruchtschädigend und neurotoxisch gelten – ihre Wirkungen auf den Organismus machen sich auch noch mehrere Generationen später bemerkbar. Bereits 2014 warnte zudem eine Forschergruppe vor der schleichenden Verdummung der Kinder durch die vorgeburtliche Belastung mit Umweltchemikalien.
Angesichts der Tatsache, dass hormonähnliche Chemikalien inzwischen selbst in entlegenen Gebieten verbreitet sind und sich damit offenbar schon nahezu überall in der Nahrungskette finden, sehen die Wissenschaftler Handlungsbedarf. „Diese Ergebnisse sollten angesichts der zunehmenden Effekte hormonell aktiver Stoffe auf den Menschen sehr ernst genommen werden“, konstatieren sie. (Scientific Reports, 2015; doi: 10.1038/srep11292)
(Universität Innsbruck, 11.06.2015 – NPO)