Ökologie

UN-Biodiversitätsgipfel hat begonnen

Interview: Worum es bei der Konferenz geht und wie die Chancen stehen

Artenvielfalt
Die Artenvielfalt auf unserem Planeten nimmt rasant ab. Das 2022 beim Biodiversitätsgipfel beschlossene Abkommen soll dem entgegenwirken. Bei diesjährigen Gipfel geht es nun um die konkrete Umsetzung. © yuelan/ iStock

Artenschutz im Fokus: Heute beginnt in Kolumbien der Weltbiodiversitätsgipfel. Vertreter aus 196 Ländern werden bis zum 1. November erneut darüber diskutieren, wie sich die irdische Artenvielfalt am besten schützen und erhalten lässt. Konkret wird es diesmal darum gehen, das 2022 beschlossene Abkommen zum Schutz der Natur weiter zu konkretisieren und die Maßnahmen auszuarbeiten, die für eine schnelle Umsetzung der Ziele sorgen. Welche Themen auf dem Gipfel wichtig sind und wie die Chancen auf Fortschritte stehen, erklärt uns eine Expertin im Interview.

Schon vor 34 Jahren wurde klar, dass die Artenvielfalt auf unseren Planeten rapide abnimmt – und dass der Mensch und seine Aktivitäten daran schuld sind. Deshalb wurde 1992 auf dem berühmten „Erdgipfel“ in Rio de Janeiro die Biodiversitätskonvention beschlossen – ein internationales Abkommen mit dem Ziel, die irdische Artenvielfalt zu schützen und zu erhalten und die natürlichen Ressourcen unseres Planeten gerecht und nachhaltig zu nutzen. Seither diskutieren Vertreter der 196 Vertragsstaaten auf den jährlichen UN-Biodiversitätsgipfeln darum, wie diese Ziele konkreter definiert und erreicht werden.

Ziele sind gesteckt, jetzt geht es um die Umsetzung

Heute beginnt wieder ein Biodiversitätsgipfel, die Vertragsstaatenkonferenz findet vom 21. Oktober bis 1. November im kolumbianischen Cali statt. Bei diesem Weltnaturgipfel wird es darum gehen, die auf dem Biodiversitätsgipfel im Jahr 2022 beschlossene Ziele und die dafür nötigen Maßnahmen weiter zu konkretisieren. Damals einigten sich die Länder auf 23 Aktionsziele bis 2030 und vier langfristige Ziele, die bis 2050 umgesetzt werden sollen – ein wichtiger Durchbruch für den Naturschutz.

Unter anderem sollen bis 2030 mindestens 30 Prozent der Landflächen, Küstengebiete und Ozeane weltweit unter Schutz stehen, 30 Prozent aller geschädigten Ökosysteme wiederhergestellt und die Lebensmittelverschwendung halbiert werden. Außerdem sollen naturschädliche Subventionen abgebaut und bedürftige Länder Gelder für die Umsetzung des Naturschutzes erhalten. Diese Mittel kommen primär von den Industrieländern, die ihre Zahlungen laut diesem Beschluss bis 2030 auf mindestens 30 Milliarden US-Dollar pro Jahr erhöhen sollen.

Katrin Böhning-Gaese
Katrin Böhning-Gaese ist Biologin und die wissenschaftliche Geschäftsführerin des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Halle. © Sebastian Wiedling / UFZ

Was dazu nötig ist und wie die Aussichten stehen, erklärt Katrin Böhning-Gaese, Biologin und wissenschaftliche Geschäftsführerin des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Halle.

Frau Böhning-Gase, was steht beim diesjährigen Weltnaturgipfel auf dem Spiel?

Es geht bei der COP16 darum, die Umsetzung der Ziele vom Weltnaturgipfel in Montreal 2022 voranzutreiben. Eines der wichtigsten Themen ist, dass die Einzelstaaten ihre Nationalen Strategien und Aktionspläne für die Biologische Vielfalt vorlegen. Dazu waren sie in Montreal aufgefordert worden. Damit sich potenzielle Verbesserungen aus diesen sogenannten NBSAPs auch wirklich messen lassen, muss in Cali das Monitoring der Biodiversität weiterentwickelt werden. Dafür arbeiten verschiedene technische Expertengruppen an Lösungen und werden hoffentlich erste Ergebnisse präsentieren. Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Finanzen.

Ohne mehr Mittel werden sich die Ziele von Montreal nicht umsetzen lassen. Denn die globalen Hotspots der Biodiversität liegen meist in Entwicklungsländern, denen das Geld für wirksamen Naturschutz häufig fehlt. Dafür hatten sich die entwickelten Länder in Montreal verpflichtet, Entwicklungsländern bis zum Jahr 2030 mindestens 30 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung zu stellen. Das sollte dringend vorangetrieben werden.

Welches sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Probleme in punkto Biodiversität, für die die Weltgemeinschaft Lösungen finden muss?

Wir wissen aus der Biodiversitätsmodellierung genau, was getan werden muss, um den Rückgang der Biodiversität bis zum Jahr 2030 zu stoppen und die Biodiversität bis zum Jahr 2050 wieder zu erhöhen, wie es das Enddokument von Montreal vorsieht. Dazu gehören zum einen die Einrichtung größerer und besser gemanagter Schutzgebiete und die Wiederherstellung von Ökosystemen, zum anderen eine produktive, aber nachhaltige Landwirtschaft. Wichtig ist darüber hinaus ein anderer Umgang mit Lebensmitteln, konkret die Reduzierung der Lebensmittelverschwendung – bei uns in Deutschland vor allem im Handel und im eigenen Kühlschrank – sowie eine stärker pflanzenbasierte Ernährung.

Ich halte alle drei Punkte – Schutz, Produktion und Konsum – für essenziell. Dabei ist das individuelle Verhalten der Menschen durchaus wichtig und kann zweifellos einen Unterschied machen. Wir sollten jedoch unsere Ansprüche, Pläne und Maßnahmen nicht darauf reduzieren, sondern die großen Stellschrauben in Politik und Wirtschaft mindestens genauso in den Blick nehmen. Wir brauchen Veränderungen auf allen Ebenen, bei jeder und jedem Einzelnen genauso wie bei den Rahmenbedingungen und Vorgaben der Politik.

Welche besondere Rolle könnte Deutschland beim Biodiversitätsgipfel spielen?

Deutschland sollte die Rolle eines Vorreiters und Beschleunigers einnehmen. Immerhin ist die Bundesrepublik international einer der wichtigsten Geber für Biodiversitätsprojekte. Auch kann Deutschland als Teil von Europa auf die erfolgreiche Verabschiedung des europäischen Renaturierungsgesetzes verweisen, das europäische Abkommen zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law). Hier ist Europa ein Pionier.

Doch es gibt auch Schattenseiten: Schon fast beschämend ist, dass Deutschland seine Nationale Strategie und den dazugehörigen Aktionsplan zum Schutz der Biodiversität noch nicht verabschiedet hat. Hier hätte ich mehr Geschwindigkeit erwartet, auch als Signal an andere Länder. Demgegenüber halte ich das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz für einen Lichtblick. Hier hat Deutschland ein Instrument mit erheblichem finanziellem Volumen geschaffen, mit dem Ökosysteme gestärkt, wiederhergestellt und bewahrt werden können, um so ihre Resilienz und ihre Klimaschutzleistung zu verbessern.

Bis 2028 stehen für verschiedene Maßnahmen, etwa die Wiedervernässung von Mooren oder die Renaturierung von Auenlandschaften, mehr als 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Darauf kann Deutschland stolz sein. Hoffentlich folgen andere Länder diesem Beispiel.

Auch wissenschaftliche Einrichtungen wie das UFZ sind in Cali vertreten, um beispielsweise über Side-Events spezifische Themen vorzustellen. Warum ist deren Anwesenheit wichtig?

Die Forschenden können bei solchen Events, bei denen alle Beteiligten – Politik, Wirtschaft, NGOs – aufeinandertreffen, ihre wissenschaftliche Expertise in die Diskussionsprozesse einbringen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Sichtbarmachen wissenschaftlicher Evidenz Konflikte zwischen politischen Lagern auflösen kann. Auf Side-Events, wie sie auch das UFZ in Cali anbietet, können Wissenschaftler auf wichtige Themen aufmerksam machen und Allianzen mit ähnlich gesinnten Menschen bilden.

Gemeinsam können viele Herausforderungen erfolgreicher adressiert werden als allein. Nicht ohne Grund werden wir als UFZ dort vor allem die Schnittstelle Wissenschaft/Politik thematisieren. Wichtig ist aber auch die Rückkopplung in die Wissenschaft, denn auf solchen Konferenzen wird oft erst sichtbar, wo noch Erkenntnisbedarf besteht. Es ist für eine wissenschaftliche Einrichtung sehr wichtig, genau hinzuhören und ernsthaft zu prüfen, ob ausreichend eigene Expertise vorhanden ist oder ob diese entwickelt werden sollte.

Was erhoffen Sie sich vom Biodiversitätsgipfel, um hinterher von einem Erfolg sprechen zu können?

Jetzt kommt es auf die Umsetzung an. Hierfür würde ich mir in Cali klare Impulse und Signale der Vertragsstaaten wünschen. Natürlich ist dieser Prozess nicht einfach, weil damit viele auf den ersten Blick schmerzhafte Veränderungen verbunden sind: Konflikte müssen identifiziert und verhandelt, Anreize für positive Veränderungen gesetzt werden. Derzeit dominieren andere Themen wie die Kriege in Nahost und der Ukraine, Migration, Sicherheit und soziale Gerechtigkeit die politische Agenda. Das hat sicherlich seine Berechtigung, man sollte nichts gegeneinander ausspielen.

Trotzdem wäre es wichtig, das Thema Biodiversität wieder stärker und dauerhaft ins Blickfeld von Politik und Gesellschaft zu rücken sowie Mut und Schwung für die Umsetzung zu schaffen. Wenn der Gipfel hierzu einen substanziellen Beitrag leisten könnte, wäre er für mich ein Erfolg. Wir sollten begreifen: Letztlich können wir unseren Wohlstand nur sichern, wenn wir die Biodiversität schützen.

Zehn Tage nach Beendigung des Weltbiodiversitätsgipfels treffen sich Politiker, Forschende und NGOs zum 29. Weltklimagipfel in Baku. Wäre es nicht längst an der Zeit, die Kräfte zu vereinen und die Themen zusammenzudenken?

Das wäre auf jeden Fall sinnvoll: Aus Sicht der Wissenschaft ist es eindeutig, dass die Klima- und die Biodiversitätskrise eng miteinander verbunden sind. Der Klimawandel hat negative Einflüsse auf die Biodiversität und umgekehrt. Deswegen sind der Erhalt der biologischen Vielfalt und die Wiederherstellung von Ökosystemen zentral, um das Klima zu schützen. Wichtig ist, dass die internationalen Strategien für Klima- und Biodiversitätsschutz nicht in gegensätzliche Richtungen laufen.

Hier ist insbesondere der Klimaschutz gefordert, damit bei Klimaschutzmaßnahmen auch mögliche Folgen für die biologische Vielfalt berücksichtigt werden. Ein gemeinsamer Workshop-Bericht des Weltklima- und des Weltbiodiversitätsrats zeigt: Fast alle Maßnahmen zugunsten der Biodiversität schützen auch das Klima, aber nicht alle Maßnahmen für den Klimaschutz auch die Biodiversität. Umso wichtiger ist es in der Tat, beide Themen stärker zusammenzudenken.

Quelle: Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)

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