Neurobiologie

Unser Gehirn hat ein eigenes Gesangszentrum

Areal im Schläfenlappen reagiert nur auf Kombination von Musik und Sprache

Musik
Unser Gehirn verarbeitet gehörten Gesang in einem eigenen Areal. Die dortigen Neuronen reagieren spezifisch auf Gesungenes. © imagejungle/ iStock.com

Auf Gesang gepolt: Unser Gehirn besitzt ein eigenes Areal für das Erkennen von Gesang, wie Forscher herausgefunden haben. Demnach gibt es in unserem Schläfenlappen eine Neuronengruppe, die nur auf die Kombination von Musik und Sprache reagiert. Bei reinen Instrumentalstücken bleiben diese Hirnzellen dagegen inaktiv. Das könnte darauf hindeuten, dass unser Gehirn Musik selektiver und arbeitsteiliger verarbeitet als bislang gedacht, so das Team im Fachmagazin „Current Biology“.

Musik ist tief in unserer Natur verankert: Schon Kinder im Mutterleib reagieren auf melodische Klangfolgen und nur wenige Sinneseindrücke könne so tiefe Emotionen wecken wie Musik. Wie und wo unser Gehirn jedoch Musik erkennt, ist bislang erst in Teilen geklärt. So legen Hirnscans und Ableitungen von Hirnströmen nahe, dass die im Schläfenlappen liegende Hörrinde eigene Schaltkreise und Areale für die Musikverarbeitung besitzt. Wie spezifisch diese Reaktion ist, ist jedoch offen.

Hörzentrum
Das primäre Hörzentrum (rot) und auch das Musik- und Gesangsareal liegen im oberen Teil des Schläfenlappens. © Database Center for Life Science(DBCLS) /CC-by-sa 2.1 jp

Musikhörenden ins Gehirn geblickt

„Wir wissen bisher kaum etwas über den neuronalen Code der Musik“, erklären Samuel Norman-Haignere von der Columbia University in New York und seine Kollegen. Um diesem Code auf die Spur zu kommen, haben sie die Chance genutzt, dem Gehirn von 15 Epilepsie-Patienten beim Musikhören zuzusehen. Möglich wurde dies, weil den Patienten zur genaueren Diagnose ihrer Erkrankung feine Elektroden auf die Oberfläche des Gehirns implantiert worden waren.

Für ihre Studie spielten die Forschenden diesen Probanden 165 verschiedene Klänge vor, darunter Sprache, Musik, Geräusche und Gesang. Über die unter dem Schädel sitzenden Elektroden konnten sie die Hirnströme ableiten, die diese akustischen Reize in der Hörrinde des Gehirns hervorrufen. Aus einer früheren Studie mit denselben 165 Hörstücken sowie Hirnscans mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) wusste das Team bereits, wo das auf Musik reagierende Areal ungefähr liegt – nicht aber, ob die darin enthaltenen Neuronen spezifisch auf verschiedene Musikarten reagieren.

Neuronen feuern nur bei Gesang

Die neuen Hirnstrom-Daten haben nun das fehlende Puzzlestück geliefert: „In den Daten stach ein neuronales Reaktionsmuster heraus, das nur bei Gesang auftrat“, berichtet Norman-Haignere. „Jede Musik mit Gesang erzeugte in diesem Areal eine starke Reaktion, während alle anderen Klänge, darunter auch Sprache und Instrumentalmusik, keine oder nur wenig Aktivität hervorriefen. Das haben nicht erwartet.“

Nähere Analysen ergaben, dass diese gesangsspezifische Reaktion von einer kleinen Neuronengruppe im oberen Teil des Schläfenlappens ausging. Damit liegt dieses „Gesangareal“ in der Hörrinde und in unmittelbarer Nachbarschaft des Sprachzentrums und des Gebiets, in dem die Forschenden zuvor schon das allgemeine Musikareal ausgemacht hatten.

„Es gibt eine Neuronen-Population, die auf das Singen reagiert, und ganz in der Nähe liegt eine andere Population, die auf alle mögliche Musikarten reagiert“, erklärt Norman-Haignere. Erst die höhere Auflösung der elektrokortikalen Hirnstrommessung habe es möglich gemacht, zwischen diesen Arealen zu unterscheiden.

Woran erkennt das Gehirn Gesang?

Damit scheint klar, dass es in unserem Gehirn ein eigenes Areal dafür gibt, gehörten Gesang zu verarbeiten. Wie allerdings diese Neuronen erkennen, dass die eingehenden akustischen Reize von gesungener Musik stammen, ist noch unklar. „Singen unterscheidet sich von Sprache durch seine melodische Intonation und die Rhythmik, von Instrumentalmusik grenzt es sich durch vokale Resonanzen und andere stimmspezifische Strukturen ab“, erklärt das Team.

Noch wissen aber auch die Forschenden nicht, welche dieser Merkmale das Gehirn genau auswertet, um Gesang zu identifizieren. „Spiegeln die musik- und gesangsspezifischen Reaktionen die Struktur auf der Notenebene wider, beispielsweise Tonhöhe und Timbre? Oder eher die Art, wie die Noten aufeinanderfolgen, also die Melodie und den Rhythmus?“, fragen Norman-Haignere und seine Kollegen. Noch ist die Antwort darauf offen.

Dennoch sehen die Forschenden in ihrer Entdeckung des Gesangsareals einen wichtigen Fortschritt bei der Entschlüsselung unseres musikalischen Gehirns. „Indem wir eine selektiv auf Gesang reagierende Neuronen-Population entdeckt haben, beginnen wir damit, den neuronalen Code der Musik zu entschlüsseln – und werfen viele Fragen für die weitere Forschung auf“, schreiben sie. (Current Biology, 2022; doi: 10.1016/j.cub.2022.01.069)

Quelle: Massachusetts Institute of Technology

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