Pilzwurzeln spielen eine größere Rolle bei der Verbreitung von Bakterien im Boden als bisher vermutet. Wissenschaftlern gelang jetzt erstmals der Nachweis, dass Bakterien auf der Schleimhaut von lebendigen Pilzen durch den Boden wandern können. Die Untersuchungen könnten helfen, verseuchte Gebiete in Zukunft schneller mit Hilfe von Bakterien zu sanieren, die Schadstoffe abbauen.
Es sieht aus wie ein riesiges grünes Wollknäuel. Mit etwas Phantasie erinnert das Foto an ein gewaltiges Autobahnkreuz mit unzähligen über einander geschichteten Fahrbahnen und Abzweigungen. Was der Leipziger Mikrobiologe Lukas Y. Wick an seinem Bildschirm intensiv betrachtet ist jedoch in Wirklichkeit die Aufnahme eines Pilzgeflechts mit einem konfokalen Laserscanningmikroskop. Die feinen Äderchen haben einen Durchmesser von gerade mal zehn Mikrometern, das entspricht lediglich einem Siebtel eines menschlichen Haares. Trotzdem gehören Pilze zu den größten Biomasse-Produzenten auf der Welt. Ein einziges Gramm Ackerboden kann bis zu 100 Meter Pilzgeflecht enthalten.
Boden-Mikroben als Schadstoff-Fresser
Wicks eigentliche Studienobjekte sind noch viel kleiner. Sein Interesse gilt den Bakterien im Boden. Bakterien können den menschlichen Organismus schwächen – sie können aber auch nützliche Helfer sein, indem sie beispielsweise Schadstoffe abbauen. "Für das Bakterium ist der Schadstoff kein Schadstoff", erzählt Wick. "Es zersetzt die Kohlenstoffverbindung einfach und erzeugt so die Energie und die Stoffe, die es zum Leben braucht."
Doch dazu müssen sie erst einmal an ihr "Futter" kommen. Luft oder mangelnde Feuchtigkeit stellen dabei unüberwindbare Hindernisse dar. "Das ist auch der Grund, weshalb gewisse Schadstoffe so schlecht im Boden abgebaut werden. Es ist häufig nicht ein Mangel an biochemischer Kapazität sondern ein Mangel an Kontakten." Deshalb untersuchen die Wissenschaftler vom Helmholtz- Zentrum für Umweltforschung die Wanderwege der Bakterien.
Das wahrscheinlich größte Autobahnnetz der Welt
Eine Art Autobahn für Bakterien scheinen Pilzgeflechte im Boden zu sein. Zu diesem Schluss kommen die Forscher um Lukas Wick. Im Laborversuch gelang es ihnen nachzuweisen, dass die Bakterien sich am Pilzgeflecht durch den Boden bewegen. Die Zutaten: ein Schadstoff, Trennschichten aus Glaskugeln, unbelasteter Boden und ein Bakterium namens Pseudomonas putida. Durch alle diese Schichten mussten sich die Bakterien durchkämpfen, um an ihr "Futter" Phenanthren zu kommen.
Dieser polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoff ist ein weit verbreiteter Schadstoff, der bei jedem Verbrennungsprozess auftaucht: an Tankstellen, in Autoabgasen, bei Waldbränden, im Zigarettenrauch oder bei alten Stadtgaswerken. "Wir lassen die Bakterien bewusst gegen die Schwerkraft nach oben gehen, damit man nicht sagen kann: Es könnte ein bisschen Wasser sein, das nach unten läuft und die Bakterien mitschleppt", sagt Lukas Wick. "Wir haben versucht, alle Zweifel und Einwände möglicher Kritiker auszuschließen."
Nach oben geschafft haben die Bakterien es nur dort, wo sich ein Pilzgeflecht durch den Boden zog. Im identischen Parallelversuch ohne Pilzgeflecht konnten die Bakterien die Barrieren dagegen nicht überwinden. "Mit diesem Artikel haben wir gezeigt: Es gibt eine Infrastruktur."
Immer der Nase nach
Die Bakterien in diesem Laborversuch sind so genannte chemotaktische Bakterien. Das heißt, sie messen die Konzentration ihrer "Zielchemikalie" und wandern dann in Richtung höherer Konzentration – wie mit einem Autopiloten. "Das Bakterium ist eben nicht das dumme Wesen sondern hat sich an seine Umgebung angepasst und geht dorthin, wo es Nahrung gibt." Im Modellversuch kam nur eine Bakterienart zum Einsatz. In der Natur gibt es aber unzählige verschiedene und damit tauchen neue Fragen auf: Für wen hat es einen Vorteil, beweglich zu sein und für wen nicht?
Bis die Prozesse im Boden völlig verstanden sind wird also noch einige Zeit vergehen. Ziel der Helmholtz-Forscher ist es, in Zukunft mikrobielle Landschaften darzustellen und zu untersuchen, was passiert unter welchen Einflüssen. Ein Hilfsmittel wird dabei zum Einsatz kommen, das auch schon geholfen hat, die Ausbreitung der Tollwut oder die Verbreitung wiederangesiedelter Tierarten vorherzusagen.
Die ökologische Modellierung kann künftig auch Prognosen über die Verbreitung von Bakterien liefern. Mit diesem Wissen wird es leichter, schadstoffbelastete Gebiete zu sanieren. Die "Pilzautobahn" ist dann vielleicht nicht nur die größte der Welt sondern auch die einzige, die der Natur zurück zum ursprünglichen Zustand hilft.
(Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, 09.02.2007 – NPO)