Warum können einige Menschen Stress besser „wegstecken“ als andere? Auf diese Frage haben Wissenschaftler nun zumindest eine der Antworten gefunden: Sie entdeckten genetisch bedingte Variationen in einem Stress-reduzierenden Molekül. Wie sie in der Fachzeitschrift „Nature“ berichten, könnte dies möglicherweise auch die größere Anfälligkeit bestimmter Menschen gegenüber Süchten erklären.
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„Die Reaktion auf Stress ist eine wichtige Variable in der Anfälligkeit für Alkoholismus und andere Süchte, aber auch für psychiatrische Erkrankungen”, erklärt Ting-Kai Li, Leiter des National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism (NIAAA), das der amerikanischen Gesundheitsbehörde NIH unterstellt ist.
Neuropeptid „Y“ reduziert Angst
Wissenschaftler des NIAAA unter Leitung von David Goldman, hatten Gewebeproben verschiedener Menschen auf ein bestimmtes Gen hin untersucht. Dieses Gen und seine unterschiedlichen Varianten beeinflussen die Produktion eines Moleküls, das im Gehirn und vielen anderen Geweben vorkommt. Das Neuropeptid Y (NPY) spielt dort eine Rolle bei der Regulation von Appetit, Gewicht und emotionalen Reaktionen.
„Die Produktion von NPY wird durch Stress ausgelöst und reduziert Angst“, erklärt Goldman. „Vorherige Studien haben gezeigt, dass genetische Faktoren eine wichtige Rolle bei Stimmungen und Angsterkrankungen spielen. Wir wollten nun wissen, ob Varianten des NPY-Gens zu den ungünstigen Stress-Reaktionen beitragen, die diesen Erkrankungen oft zugrundeliegen.“
Emotionale Reaktionen verändert
Tatsächlich identifizierten die Wissenschaftler verschiedene Varianten dieses Gens in ihren Gewebeproben und konnten in Experimenten nachweisen, dass dadurch nicht nur die Konzentrationen von NPY im Gehirn und anderen Geweben unterschiedlich waren, sondern dass tatsächlich auch die emotionalen Reaktionen auf Stress verändert waren.
Mithilfe funktioneller Bildgebung stellten sie fest, dass die Probanden mit den niedrigsten NPY-Gehalten am stärksten emotional auf Fotos von Menschen mit drohendem Gesichtsausdruck reagierten. „Die Stoffwechselaktivität in den Gehirnregionen, die für die Verarbeitung von Emotionen zuständig sind, erhöhte sich, als diese Individuen mit den bedrohlichen Bildern konfrontiert wurden“, erklärt Goldman. In einem weiteren Experiment zeigte sich, dass Probanden mit einer niedrigen NPY-Konzentration auch große Probleme hatten, mäßige Schmerzen auszuhalten und zu tolerieren.
Körpereigene Opioide ebenfalls beeinflusst
Andere Studien hatten bereits gezeigt, dass das Neuropeptid mit körpereigenen Opioiden wechselwirkt – Botenstoffen, die der Organismus zur Reduktion von Stress und Schmerzen produziert. „Unsere bildgebenden Verfahren enthüllten, dass diese Probanden in Reaktion auf Muskelschmerzen auch weniger Opioide freisetzten als die Probanden mit höheren NPY-Konzentrationen“, so der Forscher. „Ihre emotionale Reaktion auf den Schmerz war zudem höher und zeigte die engen Bande zwischen Gefühlen und der Widerstandsfähigkeit gegenüber Schmerzen und anderen negativen Reizen.“ Tatsächlich konnten die Forscher in einem vorläufigen Test bereits feststellen, dass die Genvariante, die eine niedrigere NPY-Produktion bewirkt, bei Patienten mit Angststörungen häufiger vorkommt als andere Varianten.
(NIH/National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism, 03.04.2008 – NPO)