Historisch bedeutsam: Forschern ist es gelungen, DNA des berühmten Sioux-Häuptlings Sitting Bull aus einer aufbewahrten Haarsträhne zu isolieren. Mit diesen Erbgut-Fragmenten konnten sie beweisen, dass der Sioux-Indianer Ernie Lapointe tatsächlich der Urenkel des Häuptlings ist. Dies gibt Lapointe nun das Recht, die Gebeine seines Urgroßvaters ins Stammesgebiet der Sioux umzubetten. Die beim DNA-Vergleich eingesetzte Methode eröffnet hingegen die Chance, auch andere historische Verwandtschaften aufzuklären.
Der Sioux-Häuptling Tatanka-Iyotake, besser bekannt als Sitting Bull, war einer der bekanntesten Kriegshäuptlinge der amerikanischen Ureinwohner. Der Medizinmann und Anführer der Hunkpapa Lakota Sioux spielte eine entscheidende Rolle im Kampf seines Volks gegen die weißen US-Truppen und vor allem für die Schlacht am Little Big Horn. 1876 gelang es dabei den Indianern der Sioux, Cheyenne und Arapaho, die US-Soldaten vernichtend zu schlagen und ihren Anführer, General George Custer, zu töten.
Die Skalplocke des Häuptlings
Für die Sioux und Sitting Bull nahm die Geschichte dennoch kein gutes Ende: Sie wurden vertrieben, in ein Reservat gesperrt und Sitting Bull wurde dort 1890 unter unklaren Bedingungen ermordet. Kurz bevor der tote Sioux-Häuptlings begraben wurde, schnitt ihm ein Gerichtsmediziner die Skalplocke ab – eine Haarlocke vom Oberkopf, an der die Sioux typischerweise eine Feder befestigten. Gemeinsam mit den ebenfalls unrechtmäßig entwendeten Leggins gab er die Haare später als Leihgabe an das Smithsonian Institute in Washington DC.
Erst im Jahr 2007 wurden diese beiden Relikte an die Sioux und im Speziellen an Ernie Lapointe und seine Schwestern übergeben. Laut Geburtsurkunden, Familienstammbäumen und historischen Dokumenten sind sie die noch lebenden Urenkel des Sioux-Häuptlings. „Aber im Laufe der Jahre haben viele Leute immer wieder versucht, die Verwandtschaftsbeziehung von mir und meinen Schwestern zu Sitting Bull anzuzweifeln“, erklärt Lapointe.
Ein Brief an Lapointe
An diesem Punkt kommt der DNA-Forscher Eske Willerslev von der University of Cambridge ins Spiel. Er und sein Team sind Spezialisten darin, aus alten Knochen oder Zähnen Erbgut zu isolieren und daraus Einblicke in Herkunft, Populationsgeschichte oder Aussehen zu gewinnen. „Sitting Bull war mein Held, seitdem ich ein Junge war“, erzählt Willerslev. „Deshalb habe ich mich fast an meinem Kaffee verschluckt, als ich 2007 in einem Magazin las, dass das Smithsonian Museum das Haar von Sitting Bull an Ernie Lapointe zurückgeben wollte.“
Der Forscher schrieb an Lapointe, erklärte ihm, dass er auf die Analyse alter DNA spezialisiert sei und fragte, ob er nicht versuchen dürfe, DNA aus der Haarlocke von Sitting Bull zu extrahieren und so seine Verwandtschaft zu beweisen. Lapointe stimmte zu und Willerslev, Erstautorin Ida Moltke von der Universität Kopenhagen und ihre Kollegen machten sich an die Arbeit.
Spärliche Erbgutspuren
Allerdings erwies es sich als extrem schwierig, überhaupt ausreichend Erbgut aus den Haaren zu isolieren, wie das Team berichtet. Denn die Skalplocke war mehr als ein Jahrhundert lang bei Raumtemperatur gelagert und möglicherweise zur Konservierung mit Arsen behandelt worden. Als Folge war das Material stark degradiert und das Team konnte nur noch sehr wenige, kleine DNA-Fragmente extrahieren und sequenzieren.
Hinzu kommt: Der normalerweise einfachere Vergleich über die DNA-Sequenz des Y-Chromosoms kam nicht in Frage, weil Lapointe über seine Mutter von Sitting Bull abstammt und das Y-Chromosom nur über die männliche Linie weitergegeben wird. Die in den „Kraftwerken der Zelle“ liegende und oft besser konservierte mitochondriale DNA wiederum wird nur von Müttern an Töchter weitergegeben und war also in Lapointes Fall auch keine Alternative.
Die Wissenschaftler mussten daher auf die normale Kern-DNA zurückgreifen und spezielle computergestützte Methoden einsetzen, um die wenigen DNA-Fragmente überhaupt mit dem Erbgut von Lapointe, seinen Schwestern und zu Kontrollzwecken weiteren Sioux vergleichen zu können.
Verwandtschaft bewiesen
Doch es gelang: „Wir schafften es, eine ausreichende Menge an autosomaler DNA aus der Haarprobe von Sitting Bull zu gewinnen und diese zu vergleichen – und zu unserer Begeisterung stimmten sie überein“, berichtet Willerslev. Damit ist nun auch genetisch bewiesen, dass Lapointe und seine Schwestern die Urenkel des berühmten Sioux-Häuptlings Sitting Bull sind. Nach US-Recht haben sie damit auch die Verfügungsgewalt über die sterblichen Überreste des Häuptlings.
Lapointe möchte dies nutzen, um die Gebeine seines Urgroßvaters umzubetten. Denn bisher sollen sie in Morbridge in South Dakota begraben sein – einem nicht im Kernland der Sioux liegenden Ort. Die Sioux möchten den Häuptling deshalb dort bestatten, wo er enger mit der Geschichte und Kultur des Stammes verbunden wäre.
Für Willerslev und seine Kollegen markiert die Studie dagegen einen wichtigen Fortschritt bei der Untersuchung alter DNA. Denn ihre für Vergleiche degradierter Proben entwickelte Technik könnte auch weitere Rätsel der Vergangenheit lösen helfen. „Im Prinzip könnte man auch noch ganz andere Beziehungen untersuchen – von Jesse James bis zur Familie des letzten russischen Zaren“, erklärt Willerslev. (Science Advances, 2021; doi: 10.1126/sciadv.abh2013)
Quelle: University of Cambridge